Mystik (1)

Dieser Text ersetzt einen umfangreicheren, älteren mit dem Titel „Visionssuche“, der nie veröffentlicht wurde. Ich will hier versuchen, meine spirituelle Entwicklung und insbesondere Suche zu umreißen, damit die Themenwechsel im Blog verständlicher werden (s.a. hier).

Ich war von der Beschäftigung mit den Katharern – mithin mit christlicher Spiritualität – wieder abgekommen, glaubte dies sei ein Irrweg. Ich definierte – flüchtig -, was Spiritualität für mich „leisten“ (blöder Begriff) können muß. Was heißt denn „klare Ablehnung monotheistischer Ansätze“? Von welchem Gottesbild sprechen wir? Ich las gestern im Buch „Kontemplation“ von Willigis Jäger: Jesus verwendete den Begriff „Vater“, um – in eher mystischem Verständnis – auf den Urgrund des Seins zu verweisen. Das ist für mich nachvollziehbar, das kenne ich gut, wenn in hochemotionalen Momenten auch mir das Wort „Vater“ über die Lippen kommt. Das ist eine Vorstellung jenseits des Bildes eines personalisierten Gottes, möglichst noch mit weißem Rauschebart.

Doch noch vor wenigen Jahren hätte ich so etwas nie geschrieben, da war ich eingetaucht in die Mythologie der alten germanischen Götter. Das Unbehagen wuchs: das an der „Gemeinschaft“ und das an den Inhalten. Besser als Pierre Stutz (Geborgen und frei) kann ich meinen jetzigen Standpunkt (eigentlich kein Standpunkt, eher ein „Fließen“) gar nicht formulieren:
„Ich verstehe mich oft selber nicht, wenn ich tagelang hineintauche in uralte mystische Lebensentwürfe und mich trotz großem Befremden so tief angesprochen und angerührt fühle.“

Stutz ist es auch, der schreibt, mystische Menschen seien die religiös erwachsen gewordenen. Das mag sich überheblich anhören, es ist so wohl nicht gemeint. Und ich teile diese Ansicht auch nicht 100%, denn wenn ich nur auf mein Leben schaue, dann war die „Mystik“ zuerst da – und jetzt scheint sie ihr Recht wieder einzufordern. Ich spreche dabei durchaus nicht ausschließlich von christlicher Mystik. Ich merke, daß „Mystik“ ein Thema meines Lebens ist, daß ich sie an verschiedensten Orten gesucht habe, daß ich sie in verschiedenster Form erleben durfte, aber auch, daß wenig geblieben ist. Es war eine Reise mit Kurzaufenthalten, ich habe vieles sehen und erleben können, aber wo war sie doch gleich, die (spirituelle) Heimat?

Mit 15 / 16 Jahren kreierte ich für mich allein und ohne ausführlicheres Wissen über die neuen Hexen und Wicca einen „Kult“, der – im Rückblick – wie eine quasi-göttliche Gabe erscheint. Woher nahm ich das Wissen, das ich dort einbrachte? Es kam von innen aus mir heraus. Ich sah im Urgrund der Natur eine weiblich erfaßte „Gottheit“, ich sprach damals von einem „Wesen“, später von der Göttin der Lebendigkeit. Sie hatte einen männlichen Gefährten, den Gehörnten, der für die Schöpfung stand, für das, was aus dem Schoß der Göttin erwachsen war. Ich schrieb Jahre danach über dieses Projekt:
„Hauptmotiv war mein Eindruck, daß die Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft ihre Verbindung zur Natur, zum Urgrund, verloren haben. Getrennt von diesem Urgrund des Seins leben sie stumpfe, uninspirierte Leben. Ich dachte, hätten sie doch die gleichen Empfindungen, die ich im Wald erlebte, diese Eindrücke von Fruchtbarkeit, Lebendigkeit und Freude! Der Kult sollte zunächst Menschen sammeln, die die gleichen Erfahrungen machten, ich sprach von medialen Menschen, um dann als Keimzelle zu dienen, wenn es darum ging, andere Menschen zu inspirieren, ihnen zu helfen, ja, ich sprach auch von Heilung.“
Man kann das als para-schamanischen Ansatz bezeichnen, aber grundlegend sehe ich heute die mystische Erfahrung in der Natur. (Der gesamte „Kult“ bestand auch letztlich nur aus einem einzigen „Kultleiter“ …)

In späteren Jahren kam ich in engeren Kontakt mit dem Buddhismus und auch dem Daoismus. Die Vertiefung (im Sinne vom Finden eines Lebensweges) scheiterte an einem persistierenden Gefühl der Fremdheit: ich bin kein Asiate. Auch wenn ich vom Verstand her gerade aus dem Daodejing vieles für mich „mitgenommen“ habe, so war doch – unausgesprochen und nicht abwertend – der Wunsch nach einer „einheimischen“ Form von Spiritualität da.
Auf den Weg brachte mich das erste Bändchen von „Der westliche Weg“ von John und Caitlin Matthews (Original: The Western Way, A Practical Guide to the Western Mystery Tradition). Hier ging es um schamanische Traditionen, um Reisen in die Anderwelt – alles sehr auf dem Keltentum basierend, aber doch auch mit einer Prise „nordischer Götter“. Gut 15 Jahre meines Lebens war ich dann „Asatru„, opferte den germanischen Göttern, betrieb eine der einflußreichsten deutschsprachigen Webseiten zum Thema. Und obgleich ich mich schon vor Jahren von der Gemeinschaft, der ich angehörte, verabschiedet habe, hatte der Beginn des Rückzuges eine längere Vorgeschichte. Die Zweifel äußerten sich nur so subtil, daß ich sie nicht richtig deuten konnte: ich hatte keine Lust mehr, Rituale mitzugestalten, im Kreis zu stehen, Texte abzulesen, Essen dem Feuer zu übergeben.

Ich sprach vor Jahren davon, daß Religiosität in meinem Leben wie so eine Art Pendel funktioniere: Einem Ausschlag in die eine Richtung (z.B. Katholizismus im Elternhaus) folgt ein solcher in die andere Richtung (z.B. Buddhismus), das wiederholt sich (z.B. Asatru – germanische Religion vs. neuer Hexenreligion / Wicca) bis das Pendel in der Mitte stillsteht. Da will ich hin.

Keine der Traditionen, die ich bislang kennengelernt habe, führt mich dahin, sind sie doch allesamt Pendelausschläge. Ich glaube, die Mitte könnte da liegen, wo alle spirituellen / religiösen Traditionen zusammenkommen.

Teil 2

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