oben ohne – unten ohne – Wo führt’s hin?

Als die historischen Lebensreformer die „Hüllen fallenließen“ und nackt badeten oder sich sonnten, war dies nicht per se ein gesellschaftspolitischer Akt, sondern reformatorisches Bemühen um die eigene Gesundheit, um das bessere Leben.

Heute haben wir es mit einer anderen Problematik zu tun. Ich habe bereits hier etwas geschrieben und dabei die Entwicklung im Sinne von Gleichheit und mehr Offenheit bzgl. der Präsentation des eigenen unbekleideten Körpers in der Öffentlichkeit tendenziell begrüßt.

Allein: der große „Oben-ohne-Run“ bleibt aus. The GermanZ zitiert die Sprecherin der Berliner Bäder: oben ohne sonnen war sowieso schon erlaubt. Vereinzelt sieht man Frauen nun oben ohne schwimmen, aber es ist kein großer Trend, und es beschwert sich wohl auch niemand. „oben ohne – unten ohne – Wo führt’s hin?“ weiterlesen

Thema Querdenker und Lebensreform hier im Blog (2021-2022)

Ein Thema vor vorübergehender Löschung des Blogs war die mutwillige Verknüpfung von heutigen „Querdenkern“ mit Protagonisten und Themen der historischen Lebensreform. Was ich dazu ab Dezember 2021 geschrieben habe, ist hier noch einmal in Kürze verlinkt:

Erstmalig schrieb ich im Dezember 2021 nach einem SPIEGEL-Artikel darüber, daß v.a. zwei Autoren – Andreas Speit und Steffen Greiner – offenbar die sogenannten Querdenker auf die historischen Lebensreformer rückbeziehen. In „Querdenkende Lebensreformer?“ griff ich das erneut auf, ebenso in „Wenn’s Greinert und Speit„, kurz und ohne eigene Gedanken zu formulieren.
Zunächst setzte ich mich dann mit Speit auseinander und schrieb zu seinem Buch eine Kurzrezension.
In drei Teilen befaßte sich der Österreichische Rundfunk (Ö1 Radiokolleg) zwischenzeitlich mit dem gleichen Thema, worauf ich Teil für Teil kritisch einging.
Nach langem Ringen mit mir (solche Lektüre führt gern zu Magenbeschwerden und hohem Blutdruck) folgte der Text zu Greiner.

Abschließend arbeitete ich heraus: Es gibt keine dritte Lebensreformbewegung. Damit ist aus meiner Sicht erstmal alles gesagt.

Lebensreform in der Schweiz – 2 Bücher

Ich hatte vor längerem auf eine Lebensreform-Ausstellung in der Schweiz hingewiesen und die Kuratoren Locher und Rindlisbacher erwähnt. In einer HSozKult-Rezension wird nun das Buch „Lebensreform in der Schweiz (1850-1950)“ mit Untertitel „Vegetarisch essen, nackt baden und im Grünen wohnen“ besprochen.
Es heißt dort, Rindlisbacher habe sich der Kernzeit der Lebensreform angenommen, während seine Kollegin Locher in ihrem Werk „Natürlich, nackt, gesund“ auf die Zeit ab 1950 eingeht. Beide Werke sind die Dissertationen der jeweiligen Autoren. Neuigkeiten finden sich auch auf Lebensreform-Zeitgeschichte.ch.

Hier findet sich die Besprechung von Rindlisbachers Buch, hier die von Lochers.

Nachtrag April 23: Rindisbachers Buch wurde von Wedemeyer-Kolwe rezensiert. Es ist von der Verlagsseite aus kostenlos als eBook herunterladbar.

Neuerscheinung: Lichtwärts! (C. Wagner)

Der Verlag Regionalkultur hat seinen Sitz nahe Bruchsal in Baden-Württemberg. Das Buch des Monats Oktober befaßt sich mit der Lebensreform im „Südwesten“. Autor ist Christoph Wagner. Er befaßt sich in dem Werk mit Lebensreform, Jugendbewegung und Wandervogel, die als die „ersten Ökos im Südwesten“ bezeichnet werden. Der im Untertitel angegebene Zeitraum ist 1880 bis 1940. Laut Verlagsinfo (o.a. Link) zeichnet der Autor das Bild dieser Bewegungen, wobei auch die „düsteren Seiten“ (z.B. Rassismus) nicht ausgelassen würden. Ich bin sehr gespannt und werde das Buch im Winter 22/23 rezensieren.

Das gebundene Buch umfaßt 280 Seiten mit 235 Abbildungen; es kostet 34,80€. (Das Bild wurde der Presseinfo des Verlags entnommen.)

Nachtrag 8.11.22: achtminütiges Feature des SWR zum Buch und Thema

Es gibt keine dritte Lebensreformbewegung

Ende 2021 wurde ich auf die beiden Autoren Speit und Greiner aufmerksam, weil ich Nachrichten auf das Stichwort Lebensreform filtere. Plötzlich war da die Rede von den Querdenkern, den Coronaprotesten – und der Herkunft aus der Lebensreformbewegung. Speit propagiert eine „dritte Lebensreformbewegung“, also die klassische Epoche erweitert um die Alternativbewegung der 70er/80er Jahre. Greiner greift das auf, sieht aber statt drei Wellen eher eine ungebrochene, typisch deutsche „Traditionslinie“ von der Romantik über die Nationalsozialisten und Querdenker hin zu künftigen Mono-Gesellschaften und Blut-und-Boden-Staaten. (Beide Links gehen zu meinen Eindrücken von diesen Büchern.)

Zugegeben: ich war vor den Kopf gestoßen, fühlte mich angegriffen. Ich beschäftige mich lange mit der Lebensreformbewegung, sie ist mir lieb und wichtig geworden. Natürlich weiß ich um die völkischen Elemente, Rassegedanken und ähnliches – das war aber kein Schwerpunkt in meiner Beschäftigung mit der Lebensreform. Ich habe Surén und Ungewitter im Regal stehen, aber das ist nicht „meine Literatur“, wenn ich an Lebensreform denke. Nehmen wir als Beispiel den Naturismus: mich interessiert die Körperkultur, das gute, sportliche Leben, der Einklang mit der Natur. Gar nicht interessiert mich, ob solche sportlich geformten Körper dann für „rassereine“ Nachkommen stehen. Ist nicht mein Thema.

Und hier kommen nun zwei Autoren, die die Lebensreform auf rechts drehen und sie quasi als Sprungbrett sehen: Wie auch immer man springt, mit Drehung oder rückwärts oder kopfüber – man landet immer im Sammelbecken „Querdenker“ = Rechtsextremismus.  „Es gibt keine dritte Lebensreformbewegung“ weiterlesen

Podcast Stadtmuseum Gera – Lebensreform

Da habe ich eine kleine Perle gefunden! 🙂
Das Stadtmuseum Gera erzählt in auf der Webseite abrufbaren Podcasts Stadtgeschichte(n). Die dritte Folge heißt: „Lebensreform und Freikörperkultur in der Weimarer Republik“ – direkter Link.

Zu Beginn der zwanzigminütigen Sendung erklärt die Museumspädagogin Tabea Hasan die Enstehung der Lebensreform – knapp und solide. Nachvollziehbar werden Adolf Koch und Hans Surén als gegensätzliche Vertreter vorgestellt: Koch mit seiner gut begründeten Nacktgymnastik und ab 1924 eigener Schule, ein klassischer Volkserzieher. Surén mit seinem Männlichkeitskult, der Formung eines „arischen Körpers“ und dem Vorsatz, nur wer gesund und athletisch sei, solle sich nackt zeigen. Koch und Surén gegenüberzustellen ist sehr sinnvoll; das hat mir gut gefallen.  „Podcast Stadtmuseum Gera – Lebensreform“ weiterlesen

Dokumente zur Geschichte der Lebensreform

Das Schweizerische Sozialarchiv hat in Form der Sammlung Peter F. Kopp Dokumente zur Lebensreform archiviert. Beim Reiter „Aktenserien“ habe ich nicht genauer geschaut, was online einsehbar ist. Aber man kann sich drei Filme ansehen, die sich für den Interessierten lohnen:

  1. ons zeigt: Neu Hellas – I. Weltsporttreffen und V. Intern. Kongreß der FKK 1939 / das lichtheim – die neue zeit
  2. Naturisten-Gelände Thielle, ca. 1970
  3. die neue zeit – der 70er Jahre – ein querschnitt von ch. fankhauser

Ö1 Radiokolleg – Lebensreform (Teil 3)

Im dritten und letzten Teil der Reihe zu den „ersten Querdenkern“ geht es v.a. um Kritik an der Schulmedizin, Impfskepsis und die Naturheilbewegung der Lebensreform.

Dabei greift man vor allem auf die Autoren Lackner und Zielinski zurück, die das Buch „Die Medizin und ihre Feinde“ geschrieben haben.
Viele der Lebensreformer seinen Impfgegner gewesen. Es wird speziell auf die hohe  Sterblichkeit durch und die ersten erfolgreichen Impfungen gegen Pocken eingegangen, gegen die Lebensreformer protestierten. Es gebe, so der Sprecher (Lackner?) eine „klare Brücke ins Heute“.
Interessanterweise wird hier gerade der Wiener Bürgermeister Lueger als Beispiel für einen überzeugten Impfgegner hervorgehoben, der impfkritischen Organisationen u.a. eine große Stadthalle für ihre Aktionen zur Verfügung stellte. Es wird nicht gesagt, aber: erwähnt man Lueger speziell, weil er auch Antisemit war?

Es habe zunächst religiöse Gründe gegen die Impfung gegeben: der „fremde“ Stoff sei von Gott nicht gewollt. Dann hätten völkische Impfgegner das „Gift“ auf die Juden geschoben. In den 1970 und 80er Jahren habe sich v.a. Kritik an Pharmakonzernen etabliert. Ich habe das so verstanden, daß hier ein links-alternatives Milieu gemeint ist, während es gegen Ende der Sendung heißt, diese konkrete Kritik komme von der „ganz rechten Seite“. (Vielleicht so gemeint, daß jeder, der sie äußert, mittlerweile rechts verortet wird.)

Seichtestes journalistisches Niveau wird bei der Einspielung von Impfgegnerstimmen einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen erreicht: zwei Personen heben die gute Funktion ihres Immunsystems hervor, das auch gegen Corona schütze, so daß man die Impfung nicht benötige.
Das läßt der Verantwortliche für die Sendung so stehen. Hier müßte doch eine Analyse erfolgen, aus welchen diversen Gründen Personen die Covid-Impfungen ablehnen.
Aus meiner Beschäftigung mit dem Thema Impfkritik weiß ich, daß dies gerade nicht das Hauptargument ist, sondern die unkalkulierbare Wirkung der mRNA-Impfstoffe. Daß das kontinuierliche Impfen mit einem Stoff, von dem Karl Lauterbach 2020 noch sagte, er habe „noch nie“ am Menschen gewirkt, Menschen Angst macht, die ansonsten möglicherweise wesentlich eher bereit wären, die Impfung zu akzeptieren, wird in dieser Sendung mit zwei eher krakeelig-platten Vertretern einer solchen Demo völlig unter den Teppich gekehrt. Damit wird mein Vorwurf schlechten Journalismus‘ aus dem 2 .Teil noch übertroffen. Schlecht also in dem Sinn, daß der investigative Part ausgelassen wurde. Man lädt sich „Experten“ ein, deren Aussagen das Gerüst der Sendung bilden.

Aber gut, die Agenda der Sendereihe war ja nun, die Querdenker auf die Lebensreformer zurückzuführen, da sind dann auch Auslassungen, Weglassen von Recherche adäquate Mittel, um die „message“ rüberzubringen.

Immerhin heißt es zum Schluß, die Kategorien Links/Rechts seien nicht nutzbar, beide Seiten seien in Lebensreform wie Querdenkerszene vertreten. Solange die „Moderne voranschreitet“ werde es immer eine „lebensreformerische Opposition“ geben, die diesen Fortschritt in Frage stelle. Das klingt wie eine Drohung.

Ö1 Radiokolleg – Lebensreform (Teil 2)

Der zweite Teil der dreiteiligen Sendereihe kann nur online angehört werden.

Man hangelt sich lang von Diefenbach und seinen Kommunen, speziell Himmelhof (Ober St. Veit), bis hin zum Monte Verità („aufregendes Laboratorium der Lebensreformbewegung“), der nur kurz angeschnitten wird. Diefenbach wird dabei ganz im „autoritär-utopistischen“ Stil des 19. Jahrdunderts verortet, wohingegen sein „abgefallener“ Schüler Gusto Gräser, einer der Mitgründer in Ascona, individueller und selbstbestimmter gewesen sei, mithin das 20. Jahrhundert repräsentiert habe.

Interessant in dem Zusammenhang: Die Kommune in Himmelhof habe nicht funktioniert, weil viele gescheiterte Existenzen aufgetaucht seien, die „Halt gesucht“ hätten. Das kam mir gleich sehr vertraut vor, weil ich ähnliches in der neuheidnischen Szene der frühen 2000er Jahre erlebt habe.

Zum Schluß dann der für mich nervigste Part – die angebliche Dreiteilung der Lebensreform-Wellen: klassische Phase, 68er/Alternativbewegung – und die Querdenker-Bewegung heute. Mir ging heute morgen durch den Kopf, ob es schlichtweg Unkenntnis der Medien ist, die sie die von zwei Personen forcierte These einer 3. Lebensreformbewegung so kritiklos aufgreifen läßt. Ich habe schon in der Rezension zu Speit geschrieben, daß für mich keine 3. Bewegung aktuell erkennbar ist – das ist, wie zum 1. Teil der Sendereihe geschrieben, ein Diffamierungsversuch staatstreuer Journalisten, der Menschengruppen als spinnert, verschroben, naiv charakterisieren soll, was ursächlich für ein Ende im Faschismus sei.

Lieber Österreichischer Rundfunk: Auch wenn man ExpertSternchenInnen aus Deutschland zu Wort kommen läßt – ein bißchen investigativer darf man schon sein. Warum wird die Aussage zur sogenannten 3. Lebensreform unkommentiert kolportiert? Weil der Herr Greiner der Experte ist? Sorry, das ist für mich ein seichtes journalistisches Niveau.

Nebenbei: so ein bißchen entlarvt sich der Herr Greiner bei seinen Aussagen zu den Grünen. Die hätten am Anfang den Slogan „nicht links, nicht rechts, sondern vorne“ gehabt, was im Grunde ähnlich von Rechtsextremisten gehandhabt werde. Und tatsächlich seien Völkische dabei gewesen, aber „die Grünen“ (also die „guten“ Grünen) hätten schnell eine rote Linie (wahrlich!) gezogen, so daß sich die heute bekannte Partei der „Fundis“ und „Realos“ entwickelt habe. Ach so, dann ist ja alles gut. Klingt harmlos, aber im Grunde könnte man sagen, – das sagt Greiner nicht – sind die Grünen eine weit nach links ausladende Partei geworden. Für manche werden dann die Querdenker zu so etwas wie der Rückkehr von Baldur Springmann – und schlimmeres.

Im Grunde müßte man zunächst beim Begriff der Querdenker anfangen und fragen: wie legitim ist dieser zusammenfassende Terminus? Denn schon hier fängt Diffamierung an: wer sich querstellt, der verweigert sich der guten, geraden, von oben gewünschten Gehweise. Der Wille, Impf- und Coronamaßnahmengegner zu delegitimieren, gesellschaftlich zu ächten, ist ganz klares Programm, wozu man alle als „Querdenker“ in einen Topf wirft, auch die sogenannten „Spaziergänger“. Hat man erst einmal den Begriff der Querdenker, dann bietet sich an, sie an eine ähnlich heterogene Bewegung (Lebensreform) rückzukoppeln, denn die hat ja geradewegs zu Hitler geführt…
Die Agenda ist durchschaubar, sie wird aber willig von der Journaille aufgegriffen. Muß man ja nicht selbst denken, gar querdenken…

Radiokolleg – Die ersten Querdenker

Bei Ö1 gibt es eine dreiteilige Serie „Zur Geschichte der Lebensreformbewegung“ unter dem Titel „Die ersten Querdenker“.
Teil 1 kann hier angehört werden.

Gleich in der Anmoderation werden die Lebensreformer als die „damaligen ersten Querdenker“ verortet, also mit der Negativ-Konnotation des Wortes Querdenker fest verknüpft. Im weiteren stützt man sich u.a. stark auf das Greinersche Werk von der Diktatur der Wahrheit.

Die Lebensreform, die man zwischen ca. 1870 und 1930 verortet, sei Kritik am wilhelminischen Großbürgertum und an der industriellen Moderne gewesen. Es sollte „Zurück zur Natur“ gehen, wobei der Blickwinkel auf den gesunden, schönen, edlen Körper ging, „Alte, Kranke, Schwache“ seien ausgeblendet worden („Gesundheitskult“). Diese Vorstellungen einer „reinen Lebensform“ („Reinheitsdiskurs“) hätten direkt zur Eugenik der Nazis geführt, das wird an zwei Stellen der Sendung so gesagt (Eugenik bzw. Antisemitismus). „Radiokolleg – Die ersten Querdenker“ weiterlesen