Away mit A wie Abraham (Netflix)

Introductions first: „Away“ ist eine Netflix-Eigenproduktion aus dem Jahre 2020. Aktuell ist eine Staffel mit 10 Folgen verfügbar. Darin geht es auf der grundlegenden Ebene um die erste bemannte Mars-Mission, zu der sich Raumfahrtbehörden verschiedener Länder zusammengeschlossen haben. Aber „away“ sind nicht nur die Astronauten, sondern umgekehrt auch die Daheimgebliebenen, die eine große Rolle im Plot spielen.

Die Staffel ist ein Sammelsurium des Zeitgeists, Netflix war da sehr „woke“. Commander Emma ist eine weiße Frau mit eher maskulinen Zügen, 2. Commander ist Ram, ein dunkelhäutiger Inder. Der Biologe Kwesi ist schwarzer Jude, Misha, der Russe, ist „alter weißer Mann“, insbesondere zu Anfang mit Vorurteilen gegen die chinesische Astronautin Lu, die verheiratet ist und einen Sohn hat, jedoch in eine andere Chinesin von Mission Control verliebt ist. Diese fünf Archetypen werden auf der Erde um die Zurückgebliebenen ergänzt: als da wären zwei Rollstuhlfahrer, ein Mädchen mit Down-Syndrom, eine hispanische Ex-Astronautin (Emmas erotischere Gegenspielerin), eine Frau als Leiterin der gesamten Mission – und noch jemand, auf den ich gleich komme…

Vorab: der ganze Ablauf der Mission ist höchst emotional und so in keiner Weise in der Realität denkbar. Zudem gibt es so einige Ungereimtheiten, die möglicherweise auch spiegeln, daß Netflix-Eigenproduktionen knapp sind an Produktionszeit und -mitteln. Die fünf Astronauten haben Jahre miteinander trainiert, aber der Zuschauer empfindet es so, als hätten sie sich gerade kennengelernt… Sie wissen elementare Dinge nicht voneinander. In einer englischen Rezension heißt es: everybody is a drama queen. So negativ würde ich es nicht ausdrücken, denn es werden durchaus kommunikative Skills in den Vordergrund gerückt, die vielen von uns im Alltag schwerfallen.

Nun kommt die zweite hispanische Hauptperson hinzu, Isaac Rodriguez. Er hätte auch Juan, Miguel oder Carlos heißen können, aber nein, er ist nach dem Sohn Abrahams benannt, des Stammvaters der drei „abrahamitischen Religionen“. Es ist jener Sohn, der vom Vater auf „Gottes Befehl“ hin geopfert werden soll, jedoch kurz vor dem Ende gerettet wird. Man deutet dies als Prüfung Abrahams auf seine Gehorsamkeit gegenüber Gott.

In der Serie ist es Isaac selbst, der geprüft wurde. Sein Vater ist als Soldat im Nahen Osten gefallen, so lebt er nun mit Mutter und Geschwistern alleine. In den ersten Szenen, in denen Emmas Tochter Alexis auf Isaac aufmerksam wird, ist man darauf vorbereitet, daß das eintreten wird, vor dem ihre Mutter sie gewarnt hat: Jungs sind Draufgänger, die immer nur das Eine wollen. Hier mußte nun ein hispanischer Junge besetzt werden, der in religiöser Hinsicht neben Kwesi die Hauptrolle spielt.

Denn Isaac ist kein Draufgänger (außer beim Moto Cross), kein heißblütiger Mexikaner, der alles „flachlegt“, was nicht schnell genug weglaufen kann. Er ist ein sensitiver, vom Verlust des Vaters gekennzeichneter – Christ. Er könnte die Situation ausnutzen, da Emmas Vater durch eine Krankheit von Mission Control ausgeschlossen wurde und nun zwischen Selbstbezug und Sorge um seine Frau schwankend kaum Zeit für die Tochter hat, die bei Mel, der besagten mexikanisch-stämmigen Frau unterkommt. Isaac nutzt das nicht, sondern lädt Alexis an Weihnachten zur Christmette ein: „Meine Mutter hat uns Plätze freigehalten.“ Durch die Liebe und Zuwendung Isaacs lernt Alexis so die Liebe Gottes kennen, für die bei den karriereorientierten Eltern wenig Platz zu sein scheint.

In einer späteren kritischen Situation sieht man Isaac und Alexis alleine in einer kleinen Kirche. Er betet laut das Vaterunser, geht kurz darauf ein, wie ihm das Beten hilft, sagt, daß er verstehen könne, wenn das bei seiner Freundin nicht der Fall sei. Daraufhin stimmt sie in sein Gebet ein.

Filmerisch werden zwischen Alexis und Isaac nur Küsse gezeigt. Selbst nachdem sie eine Nacht miteinander verbracht haben, kommt die Kamera erst hinzu, als sie komplett angezogen neben dem Bett stehen. Die Botschaft ist klar.

Neben diesen christlichen Bezug tritt nun der Jude Kwesi als Hauptfigur – er ist einer der fünf Astronauten auf dem Weg zum Mars. Kwesi ist in Ghana geboren. Seine Eltern starben an Ruhr, er wurde von einem in England lebenden Landsmann und seiner englischen Frau, die Jüdin ist, adoptiert. Für jeden Astronauten in der Serie gibt es Rückblicke, die Werdegang oder wichtige Ereignisse und Personen schildern. Bei Kwesi ist das sehr behutsam und eindringlich dargestellt: der Stiefvater lehrt ihn die Liebe zur Schöpfung, vor allem zur Pflanzenwelt und dem Gärtnern. Die Stiefmutter lehrt ihn die jüdische Religion. Kwesi hat den Tanach und die Kippa mit an Bord. Zunächst betet er nur für sich selbst, doch später bitten ihn die anderen Astronauten darum, für alle zu beten, was sehr eindrucksvoll, ja fast schon zärtlich dargestellt wird.

Der schwarze Jude aus Ghana, der nicht mit den Eltern starb, der nicht entführt und zum Kindersoldaten gemacht wurde, er ist natürlich ein Symbol als Überlebender für die Thematik Shoa und jüdischer Staat Israel. Schauen wir nun auf die großen Probleme des Fluges: Zunächst wird Energie kritisch, weil sich das letzte Sonnensegel nicht entfaltet. Dann wird Wasser knapp, weil das Aufbereitungssystem versagt. Beim Versuch, Wasser aus der Bordwand abzupumpen, wird die Außenwand beschädigt, so daß die Mannschaftsquartiere, wo jeder Astronaut seinen Rückzugsraum hatte, abgeriegelt werden müssen. Ja, man kann es schon deuten: Jetzt sind die fünf Astronauten wie das jüdische Volk nach dem Auszug aus Ägypten. Unterwegs ohne Heimat, mit wenig Wasser und knappen Nahrungsmitteln. Aber doch geleitet durch einen charismatischen Führer, der im Kontakt zum Gott dieses Volkes steht. Moses heißt hier Kwesi – der Name bedeutet Sonntag bzw. „am Sonntag geboren“. Das ist im Judentum der erste Tag der neuen Woche, die mit dem Shabbat abgeschlossen worden war, aber auch im Christentum. Kwesi ist der Verbindende, auch der Mann des Aufbruchs.
Und die „Landnahme“ auf dem Mars, die glückliche Landung, ist die Ankunft des Volkes in seinem neuen Lebensraum.

Dieses „Volk“, die Gemeinschaft aus den fünf Astronauten, aber zum Teil auch ihre Angehörigen, ist zusammengewachsen. Differenzen untereinander, seien sie persönlich oder kulturell bedingt, verschwanden. Alle Diskrepanzen durch 10 Folgen hindurch, münden in das Bild der Fünf auf dem Mars. Selbstverständlich spricht Kwesi vor der Landung ein Gebet – für alle, von allen gewünscht. (Nebenbei: die größte Wandlung machen Misha und Lu – einfach mal auf Netflix ansehen.)

Fratelli tutti, die neue Enzyklika von Papst Franziskus, stellt das Aufeinanderzugehen in den Vordergrund. Geschwisterliche Liebe als Bindung unter den Menschen, als Mittel, das Reich Gottes bereits im Hier und Jetzt aufleben zu lassen.  Genau das zeigt uns Away: jüdische Religion ordnet das Leben im All und im Hinblick auf die neue Welt Mars. Christliche Religion ordnet das Leben der jungen Generation auf der Erde. Gott hat dem biblischen Isaak Nachkommen wie „Sterne am Himmel“ versprochen (1 Mose, 26,4)

Ich sprach oben davon, daß es eine „woke“ Produktion ist, aber es fehlt dann doch etwas: der Islam. Niemand in der Serie heißt Ismael. Ich kann mich nicht erinnern, in der Serie ein Kopftuch oder eine andere Art von Verschleierung wahrgenommen zu haben.

Drei Religionen beziehen sich auf Abraham – zwei zeigt die Serie. Die älteste Religion, die mit der dramatischsten Geschichte, ist die „neue“ Religion auf dem zweiten Planeten, den Menschen je betreten haben. Die auf sie folgende Religion, eigentlich nur eine Abspaltung, erneuert das Leben in der alten Welt. Sollte es weitere Staffeln geben, sehen wir wahrscheinlich eine pompöse kirchliche Hochzeit zwischen Isaac und Alexis.

Und hier kommen die oben erwähnten kommunikativen Skills noch einmal in den Fokus: Es ist eben keine Serie über „drama queens“, sondern über Menschen, die wahrhaft menschlich miteinander umgehen und sich dabei auf Gott beziehen (lernen). Das Ansprechen von Mißverständnissen, von Schuld – all das nimmt viel Zeit in den Folgen ein. Es zeigt, wie man „authentisch“ miteinander umgehen kann. Ich glaube, daß das Reich Gottes hier auf der Erde nur erfahren werden kann, wenn Menschen in dieser Weise miteinander umgehen.
Ohne dieses jüdisch-religiöse und christliche Element wäre Away eine blutleere SciFi-Serie.

Machen wir zum Abschluß noch eine Gegenprobe: Heterosexuelle Liebe ist im Fokus mit der aufblühenden Beziehung zwischen Isaac und Alexis. Wie ist das mit der lesbischen Beziehung zwischen Astronautuin Lu und ihrer Freundin? Die Beziehung wird ohne Sex dargestellt, zudem von Lus Seite sehr verkopft, aber was der wichtigste Punkt ist: sie wird ohne Zukunft dargestellt. Da fliegen Menschen auf den Mars, aber im China auf der Erde ist für Lus Liebe kein Platz. Es ist nur ein Detail, aber die gesamte Serie kann schon recht konservativ verortet werden, wenn man z.B. noch die Tochter Mels mit Down-Syndrom heranzieht, die geliebt ist, gefördert wurde, integriert ist und  – nicht abgetrieben wurde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert