Daoismus und Daodejing

Wer sich mit dem Tai Chi Chuan beschäftigt, kommt zwangsläufig mit Konzepten des Daoismus in Berührung, die zuerst im Daodejing niedergelegt wurden.

Mein Einstieg ins Daodejing (älter: Tao te king), Laozis Buch vom DAO (Weg, Prinzip, Sinn) und DE (Kraft, Leben, Tugend, Güte), war vor vielen Jahren die Übertragung von Ernst Schwarz. Viele Menschen beginnen wohl noch immer mit der günstig zu bekommenden Ausgabe von Richard Wilhelm, letztlich gibt es so unüberschaubar viele Übertragungen in etliche Sprachen, daß man sich auf Kenner und deren Anmerkungen verlassen muß. Da wären im deutschsprachigen Internet die „beiden Kläuse“ zu nennen, zum einen Hilmar Klaus, der auf seiner hervorragenden Zeittafel auch kommentiert sowie eine eigene Übertragung anbietet, zum anderen Matthias Claus, der auf Das-Klassische-China.de bzw. Laotse-und-das-taoteking.de über deutschsprachige Ausgaben des Daodejing sowie online verfügbare Ausgaben informiert. (Zum Zeitpunkt als dieser Text ursprünglich geschrieben wurde, hieß Hilmar mit Nachname Klaus, jetzt offenbar Alquiros.)

Eine weitere zentrale Quelle ist Onkel Lotus, wo es einen Vergleich verschiedenster Versionen online gibt. Hier finden sich übrigens weit über 100 Übersetzungen des ersten Verses in englischer Sprache – das ist gut, wenn man den Stil eines bestimmten Übersetzers vorab kennenlernen möchte.

Im übrigen gibt Hans-Georg Möller in seinem Buch In der Mitte des Kreises eine hervorragende Einführung in ‚Daoistisches Denken‘ (Insel, 2001) – namentlich in den philosophischen Daoismus, der sich vom religiösen unterscheidet.

Die Qualität, sofern man sie objektiv meint beurteilen zu können, der Übertragungen variiert stark. Sie beginnt bei „steifen“, fachlichen Übertragungen durch Sinologen, die also den Originaltext tatsächlich auch lesen können, und geht bis zu phantastischen Nachdichtungen durch Menschen, die eben kein Chinesisch können. Problematisch wird es z.B., wenn man dann eine deutsche Übersetzung einer Übertragung ins Englische vor sich hat, wobei der englische Autor nicht aus dem chinesischen Original übersetzt hat. Der chinesische Originaltext, der zudem in verschiedenen Varianten vorliegt, bietet auch keine Möglichkeit einer 1:1-Übertragung. Er ist ohne Satzzeichen, geschlechtsneutral geschrieben und die Zeichen lassen, sofern ich das verstanden habe, keine eindeutige Übersetzung zu: sie bezeichnen etwas, das man vom Sinngehalt versteht, für das man dann aber einen Begriff in seiner eigenen Sprache finden muß.
Der Urtext, der erst um 150 v.d.Z. den Namen Daodejing erhielt, entstand vermutlich um 400 v.d.Z. in der Periode der „Streitenden Reiche“. Der bisherige Standardtext entstammt einem Kommentar des chinesischen Philosophen Wang Bi, der 226-249 u.Z. lebte. Doch dann wurden in einem Grab im Ort Mawangdui 1973 zwei Textfassungen gefunden, die auf 206 v.d.Z. und 179 v.d.Z. datiert werden (Mawangdui Silk Texts). Genau 20 Jahre später, 1993, fanden sich weitere Bambustexte in einem Grab in Guodian, die auf 300-280 v.d.Z. geschätzt werden (Guodian Bambustexte / Guodian Chu Slips).
Bei den Mawangdui-Texten steht das „Dejing“ (also die Wang-Bi-Kapitel 38 – 81) vor dem Daojing (Kapitel 1-37). Der Text bildet ein nicht strukturiertes, d.h. auch nicht interpunktiertes, fortlaufendes Ganzes. E. Schwarz (s.o.) schreibt noch, daß die Texte vor ‚orthographischen Fehlern‘ strotzen, d.h. es stehen falsche Schriftzeichen dort, wo dem Sinn nach andere erforderlich wären. Dennoch meint er als Fazit erkennen zu können: „Beruhigend für uns ist hingegen die Tatsache, daß es so gut wie keine inhaltlichen Unterschiede zwischen den bisher bekannten und diesen weitaus älteren Textabschriften gibt.“
Die Neufunde wurden zuerst von dem amerikanischen Sinologen Robert G. Henricks übersetzt und mit den bisherigen Versionen verglichen. Ins Deutsche hat Hans-Georg Möller die Mawangdui-Version übertragen (1995).

Ich verwende zwei deutsche Ausgaben, wovon eine von einem Sinologen stammt. Dies sind Laotse Tao-Te-King von Rudolf Backofen (Drei Eichen, 1970, aber original 1949), hier Online-Ausgabe, sowie Daudedsching von Ernst Schwarz (dtv, 1988, ursprünglich in der DDR erschienen), hier Online-Ausgabe. Dann wäre da noch Ansgar Gerstners Dissertation von 2001 (hier online – leider 2022 nicht mehr, http://ub-dok.uni-trier.de/diss/diss27/20010129/20010129.htm), die auch als Buch erschienen ist: Das Buch Laozi (Vdm-Verlag Dr. Müller, 2008). Gerstner gibt verschiedene chinesische Textvarianten an, bildet daraus eine eigene, deutsche Übertragung und erläutert diese auf über 500 Seiten. M. Claus dazu: „Die Buchausgabe bietet mit den vergleichenden Übersetzungen aller vier augenblicklich maßgeblichen chinesischen Originaltexte des Daodejing eine wundervolle Basis zur vertiefenden Textarbeit – gerade auch für interessierte Amateure! Hinzu kommt, dass Ansgar Gerstner hier die erste deutschsprachige Übersetzung des Bambus-Daodejing bietet!“

Was englische Übertragungen angeht, die man aufgrund der oftmals etwas präziseren, weil im Sinne des Stils der englischen Sprache knapperen Übertragung konsultieren sollte, so rate ich zu Mair und Lin:
Mair, Victor H.: Tao Te Ching, Lao Tzu, The Classic Book of Integrity and the Way, A new translation by Victor H. Mair Based on the recently discovered Ma-Wang-Tui manuscripts; (Bantam Books, 1990)
Lin, Derek: Tao Te ChingOnline-Ausgabe [Lin betreibt die Seite Taoism.net mit dem Forum Teahouse]

Nach dem Studium des Daodejing kann man sich noch folgenden Werken zuwenden: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland von Zhuangzi – hier gibt es die von Stephan Schuhmacher übersetzte englische Übertragung von Victor H. Mair (Zhuangzi, Das Buch der Spontaneität, Über den Nutzen der Nutzlosigkeit und die Kultur der Langsamkeit; (Windpferd, 2008)) oder auch Das wahre Buch vom quellenden Urgrund von Liezi, mithin auch Das Buch der Wandlungen / I Ging – viel Stoff.

Wie mit allen anderen Dingen, so kann die Vielfalt des im Internet zu findenden Materials den Suchenden erschlagen. Ich würde daher dazu raten, eine Online-Ausgabe zu wählen, die einem von der Sprache her gefällt. Diese liest man dann mehrfach und versucht, grundsätzliche Aussagen zu verinnerlichen. So hat man später die Möglichkeit, mit anderen Übertragungen zu vergleichen. Es kann hilfreich sein zu versuchen, jedes Kapitel in einem knappen Satz zusammenzufassen.

Hier folgen noch ein paar Ressourcen zum Thema:

2 Gedanken zu „Daoismus und Daodejing“

  1. Ich forschte gerade über die verschiedene übersetzungen in Deutsch, Englisch und Spanisch und habe auch Ihren Text darüber. Sehr hilfreich, Danke.

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