El Burgo Ranero bis Puente Villarente (CF27)

[Die Seite ist Teil des Berichts über meinen Camino Francés 2015.]

Gerädert bin ich mit den ersten Pilgern aufgestanden, habe direkt alle meine Sachen nach draußen auf die Veranda geschafft und dort gepackt. Alles habe ich ausgeschüttelt, überprüft, aber das hilft letztlich nicht. Sinnigerweise gab es in dieser – und nur in dieser – Herberge ein Schild ausschließlich auf spanisch, auf dem die Bitte geäußert wurde, daß man sich vertrauensvoll an den Hospitalero wenden solle, wenn man Hautrötungen oder Stiche sieht…

Doch wie soll man das machen, wenn der um 6 kurz aufschließt und direkt wieder (aus gutem Grund?) weg ist?!
Wenn ich hier konkret über diese Herberge schreibe, dann möchte ich darauf hinweisen, daß es dort heute anders sein kann. Regelmäßige Schädlingsbekämpfung hilft, etliche Herbergen machen das. Somit ist das keine Pauschalverurteilung von La Laguna, aber man darf vorsichtig sein. Ich hatte mindestens zweimal mit dem Thema Bettwanzen zu tun und beide Male war auch mein Eindruck von den Hospitaleros nicht so positiv. Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen.

Also war ich mit der Frage, ob ich Bettwanzen oder Eier von Bettwanzen transportierte, allein auf dem vom vollen Mond beleuchteten Weg. Heute sollte es 20 oder 25 Kilometer Richtung León gehen; auf den Tag genau war ich nun drei Wochen unterwegs. Die Zeit war „schnell“ vergangen, also in meiner Wahrnehmung, aber jetzt hatte ich auch das Gefühl, daß es länger wurde beziehungsweise sich ein wenig „zog“. Möglicherweise einer der Effekte, die die Meseta auslösen kann. Drei Wochen jeden Tag mit Rucksack auf dem Rücken zu Fuß unterwegs, das ist schon lang und sehr außergewöhnlich im Rahmen meines sonstigen Alltags. Ich spürte die Anstrengung in den Knien, aber sie schmerzten an diesem Morgen nicht.
Das Thema „Reservierungen“ von Betten habe ich ja schon ein paarmal angesprochen. Ich hatte selbst zweimal reserviert, andere taten dies regelmäßig. Und tatsächlich wird man ja auch in den Herbergen gefragt, ob man reserviert hat. Leider, ich habe es schon erwähnt, machen die Hospitaleros der privaten Herbergen diese Reservierungsgeschichte mit. Für heute hatte ich mir kein Bett gesichert, sondern hoffte, von den ungefähr 90 Betten in Villarente eines zu bekommen.
Mir fiel auf, daß dies so ein Charakterzug von mir ist, ein Sicherheitsbedürfnis, das ich nicht gut ablegen konnte. Da kommen dann solche Gedanken hoch wie: Mensch, was machst du, wenn du in Villarente kein Bett bekommst? Dann mußt du mit dem Taxi nach León fahren, dich morgen früh wieder zurückbringen lassen, damit du kein Teilstück ausläßt… Was für ein Aufwand! Bloß nicht diesen Streß bekommen!
Ich merke in solchen Situationen, das passiert mir ja auch im Alltag hier in Deutschland, daß ich nervös werde und ungeduldig. Als das auch an diesem Morgen so war, schimpfte ich mit mir selbst: Das kann doch echt nicht sein, daß du dich jetzt mit diesem Thema so runterziehst… Bill Bennett (2013) kannte das Thema auch gut, wie aus dem weiter oben bereits angeführten Zitat hervorging.

Den ganzen Morgen über, als ich durch die weiter sehr monotone Landschaft aus Feldern und einzelnen Buschgruppen ging, arbeitete ich an dieser Haltung, die mich ja selbst nervt.
Meine Persönlichkeit hat diesen Anteil, Dinge übersteigert und in gewisser Weise zu ängstlich zu sehen. Wenn ich schrieb, daß Dennis mich da spiegelte, dann war das auch heute wieder präsent, denn er läßt sich wohl nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Ich habe diese Tendenz, Dinge schlechter und problematischer zu sehen, als sie sind, darüber dann „ewig“ nachzudenken und mich damit runterzuziehen. Das muß ich aufgeben, sagte ich mir. Doch stieg dann gleich die Frage auf: Aber wie?
Indem ich die Sachen positiv sehe und mich selbst dazu bringe, positiv zu denken. Am konkreten Beispiel des Tages: Ich will nicht sagen, daß ich nun 25 Kilometer recht schnell laufe, um noch ein Bett zu bekommen, sondern sehe es so, daß es gut war, früh aufzubrechen, weil dies meine Strategie ist, um ohne Reservierung ein Bett zu bekommen. Es ist also einfach eine Sache, wie man die Dinge so dreht, daß sie gut aussehen und beruhigend sind.
Letztlich ist dies eine, sagen wir mal, achtsame Umgehensweise mit dem eigenen Ego, die ich schon bei den drei Lektionen der Meseta angesprochen habe: man muß von sich selbst einen Schritt zurücktreten und sich genau anschauen, was da gerade mit einem passiert. Hier auf dem Camino – bei all der Zeit inmitten der weiten Felder – konnte ich das gut, dieses von leicht neben mir auf mich blicken und feststellen: ach, schau mal, da bist du wieder im gleichen Muster drin wie im Alltag! Würde ich das auch nach Hause transportieren können?

In Reliegos kaufte ich eine Dose Cola, eine Banane und ein paar Plätzchen, setzte mich am Ortsende an einem Pilgerdenkmal auf eine Bank und aß, während mich ein junger Kater beschnupperte und um Futter bettelte.
Die Berge kamen schon seit zweit Tagen näher, da es im Bogen nach Nordwesten und Richtung León ging. Die Ausläufer, die ich rechts von mir sah, waren die Vorberge der Picos de Europa, aber da würde ich nicht hinkommen. Es ging nämlich nach León, dem nördlichsten Punkt dieses Bereiches und quasi Endpunkt der Meseta, wieder südwestlich weiter Richtung Astorga, um dann über die Montes de León hinweg ins tektonische Becken El Bierzo zu kommen.

In Mansilla de las Mulas, einem etwas öden, landwirtschaftlich und industriell geprägten Städtchen, passierte etwas sonderliches: Die gelben Pfeile, die mich bis jetzt immer geleitet hatten, auch wenn es einige Um- und Sonderwege gab, weil zum Beispiel Barbesitzer ihrer Bar unbedingt auch mit gelben Pfeilen Kunden bescheren wollten, hörten nun gänzlich auf, dafür war mit blauer Farbe „BUS“ auf den Asphalt gesprüht. Immer wieder BUS und keine Pfeile mehr… Hatte ich mich verlaufen? Nein, eher nicht, ich befand mich auf dem Camino. Die Lösung ist einfach: Die Strecke zwischen Mansilla und León, insbesondere die Vororte von León, wird von vielen Pilgern gemieden, weil sie „landschaftlich nicht schön“ ist. Also setzt man sich hier in Mansilla in den Bus und ist im Handumdrehen in León…
Nicht so ich, denn ich hatte mir ja vorgenommen, jeden einzelnen Meter zu gehen. Ich fragte einen städtischen Arbeiter und war dann schnell wieder auf dem Camino, der hier an der vielbefahrenen N-601 vorbeiführt. Puente Villarente hat seinen Namen von der aus etlichen Bögen bestehenden, imposanten Brücke, die ähnlich wie in anderen Orten daran zu erinnern scheint, daß es hier auch mal Hochwasser geben kann. Der Porma, den man auf schmaler Brücke überquerte, ist hier maximal fünf Meter breit.

Der Ort hat etwas von einem amerikanischen Straßendorf – eine breite Straße geht durch den Ort, an der alle wichtigen Geschäfte sind: die Eisenwarenhandlung, der Tierzuchtbedarf, Apotheke und ähnliches. Mitten im Ort lag „meine“ Herberge San Pelayo. Von außen ein unscheinbarer Bau, ist er innen rustikal mit vielen Holzelementen, Sitzecken usw. Ich kam in einem Zimmer mit acht normalen Betten (also keinen Stockbetten) unter. Das alles wirkte sehr gemütlich, aber „gemütlich“ lädt auch unangenehme, nachtaktive Tierchen ein… Und tatsächlich, auch in diesem Raum fand ich Panzerreste (also von der Häutung) von Bettwanzen. Nun gut, das war nun also vermehrt Thema meines Jakobsweges, aber man lernt eben auch, die Anwesenheit von Bettwanzen an ihren Zeichen (Häutungsreste, Kot) zu erkennen. In dieser Nacht schlief ich aber gut und hatte keine neuen Bisse.
Ich muß noch einmal etwas zum Umgang mit Bettwanzen sagen, weil ich mich an dieser Stelle auch nicht hundertprozentig richtig verhalten habe: Nach den ersten Bissen muß man alles, was man hat, waschen und in den Trockner packen, oder, wenn das nicht geht, wie zum Beispiel beim Rucksack, die Sachen in der Sonne trocknen lassen, besser noch: in eine schwarze Mülltüte gesteckt in die Sonne legen. Der Neuseeländerin Robin ist folgendes passiert: Sie kam in einer Herberge an und hatte ganz prominent auf dem rechten Handrücken Bisse. Der Hospitalero machte kurzen Prozeß und eröffnete Robin, daß sie sich nun aus der Kleiderkammer Sachen raussuchen solle, weil er alles waschen und desinfizieren würde. Also lief Robin mit viel zu großer Jogginghose den restlichen Tag rum, während ihre Sachen bearbeitet wurden. Aber: alles war gut und der Eigentümer der Herberge nahm auch kein Geld für diese Prozedur.
Wie das bei mir weiterging, erzähle ich dann kurz vor Santiago…
Hier in San Pelayo war eine Gruppe Spanier in meinem Zimmer, die ich gestern schon in El Burgo Ranero gesehen hatte. Sie waren eine sehr heterogene Gruppe; später erfuhr ich, daß sie keine feste Gruppe bildeten, sondern sich einfach in den letzten Tagen gefunden hatten. Ein älterer Spanier aus dieser Gruppe, den ich nach León wiedertreffen würde, war sehr nett, konnte aber kaum Englisch und sprach schwer verständliches Spanisch.

Ich ging nach dem Duschen und Waschen(lassen) durch den Ort, fragte in einer Apotheke nach Spray gegen Bettwanzen, aber man hatte nur Pulver (für die Bekämpfung in einem Raum) da. Später saß ich in der Herberge und merkte, daß mein Knie insbesondere dann anfing zu schmerzen, wenn ich ruhig saß und es einen 90-Grad-Winkel bildete. Da fiel mir auf, daß das Knie auch deutlich warm war, also irgendetwas stimmte hier nicht. Fakt war aber auch: Schmerzen bei Ruhe sind aushaltbar, also einfach Bein hochlegen, aber beim Laufen wurde es nicht schlimmer.
In der Herberge gab es Abendessen für alle: eine große Portion Spaghetti, dann noch Fisch mit Pommes. Hier saßen zwei Französinnen am Tisch, mit denen ich schon morgens in El Burgo Ranero kurz gesprochen hatte. Beide konnten kein Englisch – und waren von der Kommunikation am Tisch fast vollständig ausgeschlossen.

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