Gedanken zu: Amon Barth – Einfach loslassen

Amon Barth hat an der Filmakademie Baden-Württemberg seinen Diplom-Film vorgelegt, der im Oktober 2017 beim Südwestrundfunk ausgestrahlt wurde. Doch der Titel „Einfach loslassen – Weniger besitzen als Lebensentwurf“ ist vielleicht ein wenig irreführend, denn es geht um viel mehr als nur die Anzahl materieller Dinge, mit denen man sich umgibt.

Ausgangspunkt ist vor allem die Gefühlswelt des Regisseurs, der viele Dinge in Wohnung und Keller gehortet hat, aber auch viel innerlichen Ballast mit sich herumschleppt. Wenn er davon erzählt, wie er als Kind fast jede Woche neue Spielzeugautos bekam, oder auch von Frustkäufen berichtet, dann kann ich das sehr gut nachvollziehen: auch meine Kindheit war materiell mehr Haben als Sein. Mag sein, daß es daran liegt, daß man als Kind der späten Sechziger in eine Zeit hineinwuchs, in der die Eltern sich beruflich etabliert hatten und die gesamte Gesellschaft vom Wirtschaftswunder prosperierte. Ich habe dieses „Viel-Besitzen“ nie in Frage gestellt. Erst als ich mit einer Freundin auf dem elterlichen Speicher war und sie die Kisten voller Playmobil und Lego sah – und dabei zu weinen begann, weil sie nie soviel wie ich als Einzelkind gehabt hatte, da begann ich, meine Lebenswelt in Frage zu stellen. 

Ganz radikal aber änderte sich etwas mit meinem Jakobsweg im Jahr 2015 und der Packliste, die nur das Nötigste listet. Auch Amon Barth hat diese Erfahrung gemacht, wenn er sagt: beim Reisen falle es ihm leicht, diese Einfachheit zu erleben, aber er könne das nicht in den Alltag transportieren. Genau mein Problem.

Diese vielen, z.T. unnötigen Dinge nennt ein Interviewpartner im Film den „Hintergrundlärm des Lebens“. Wer reduziert, erlebt eine neue, ungeahnte Einfachheit.

Aber, so Barth: es reiche nicht, den Ballast aus der Wohnung zum Recycling-Hof zu fahren, man müsse immer auch den inneren Ballast loslassen. Dieses Loslassen-Können ist – jenseits der Titels, der eher auf materielles bezogen scheint – der rote Faden, der sich durch die Dokumentation zieht.

Barth stellt einen Mann vor, der sich ein „Tiny House“ mit 8qm Wohnfläche auf einem Anhänger baut. Er filmt seine Mutter beim Ausmisten des Dachbodens, besucht einen Keramiker, der von der japanischen Tee-Zeremonie beeinflußt ist und entsprechende Keramik herstellt. Witzig das Kurzportrait eines Freundes, der eine Zen-Gruppe in Frankreich besucht: tagsüber Zazen, abends spielt er eine U-Boot-Simulation am PC… und fühlt sich „ein bißchen verboten“.

Amon Barth hat vier (jugendliche) Jahre seines Lebens gekifft, worüber er auch ein eBook geschrieben hat. Diese Sache wird auch kurz angesprochen: das Kiffen war Flucht, ein Weglaufen, auch aus „Angst nicht zu genügen“, aber es war auch ein Loslassen wollen. Bei mir erfüllt Alkohol eine ähnliche Funktion – und ist immer Thema, das ich reflektiere in genau dieser Ambivalenz, die Barth anspricht.

Barth bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, daß es neben unserem „Lebensfilm“ einen zweiten Film gebe, der immer mitlaufe, in dem es darum gehe, was man gerne wäre und was man im Leben hätte besser machen können. Das ist wohl so eine Art „Über-Ich-Film“. Diesen Film sollte man loslassen können. Erst dann kann man sein, wer man wirklich ist.

Ich empfehle den ruhigen und ästhetisch sehr ansprechenden Film jedem, der über sich und sein Leben nachdenkt und auch in der Reduktion der Dinge, mit denen man sich umgibt, eine Lösungsmöglichkeit sieht.

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