Greiner – Die Diktatur der Wahrheit

Auf meinem Lesetisch liegt Greiners „Wahrheit“, ein vom „Inflationsheiligen“ Ludwig Christian Häusser genommener Titel. In die Hand genommen, weggelegt, wieder angelesen, zurück ins Regal gestellt. Ach komm, da muß ich doch mal durch.
[Erste Auflage 2022, Taschenbuch, Tropen-Verlag]

Zunächst und grundlegend ist festzuhalten, daß Greiner genau wie Speit voll im System verankert ist. „Maske, Abstand und Impfen – das ist unsere Realität.“ (S. 114) /„Die Maßnahmen des Frühjahrs 2020 stießen auf großen Zuspruch…“ (S. 29) (echt jetzt?!)

Damit ist im Grunde schon vieles gesagt. Jegliches Für und Wider, jegliche wissenschaftliche Beschäftigung mit den konkreten Maßnahmen und dem Virus – all das ist für Greiner (und Speit) außen vor. Sie sind im Grunde wie die typischen Regelabnicker in diesem Staat, was mich wirklich irritiert, da ich fragen muß, welche unausgesprochene Agenda sie denn verfolgen.
Aber dies gilt es ganz zu Beginn festzuhalten: Alles Geschriebene muß durch die Brille der Mainstream Surfer gesehen werden, derjenigen, für die Spahn und Lauterbach die richtigen Wege vorgeben. Man schaue z.B. auf den heutigen Achse-Beitrag von A. Zimmermann zur Studie bzgl. der Übersterblichkeit ab April 2021, die vermutlich nicht auf Covid zurückzuführen ist. Hier muß doch Hinterfragen und Forschung ansetzen. Dieses ganze Thema klammern sowohl Speit als auch Greiner aus. Mit solchen Menschen diskutiere ich nicht mehr. Aber ich muß mich mit den Büchern notgedrungen auseinandersetzen, wenn sie auf der Lebensreformbewegung herumtrampeln. Das kostet mich Kraft. Daher nenne ich diesen Text nicht „Rezension“.

Greiner übernimmt von Speit diesen Begriff der „dritten Lebensreform„, in der „Verschüttetes“ aus der klassischen Lebensreformzeit nun wieder auftauchen soll, obwohl: „… wie wir gesehen haben, so verschüttet ist da eigentlich nichts.“ (s. 125) Er benutzt den Begriff der Traditionslinien und will zeigen, daß es verschiedene Linien gibt, die man kontinuierlich deuten müsse, nicht als erste, zweite, dritte Welle einer Lebensreform. Das sei eine „spezifisch deutsche Geschichte“, die Lebensreform rekurriere auf die Romantik, sie sei quasi eine „Stiefschwester des Nationalsozialismus„. (S. 128)

Ich fasse mir an den Kopf, will das Buch wieder  weglegen. Greiner differenziert dann, er mache verschiedene Traditionslinien aus. Doch die Linie von der „ersten Lebensreform“ sei nur „künstlich“ von parallelen Linien getrennt, denn auch die heterogene grün-alternative, normalerweise links verortete Szene habe konservative, rechte Anteile. Da gebe es nun die anderen beiden Linien: a) die nach rechts ins Völkische abdrehende Lebensreform und b) die Linie der Nationalbolschewisten und der „Schwarzen Front“.

Greiner sieht die Lebensreform generell problematisch – es kommt nicht von ungefähr, daß z.B. Adolf Koch nicht im Buch vorkommt. Selbst linke Strömungen im Konglomerat Lebensreform hätten zu „Eugenik“ tendiert; es sei generell von Reinheit die Rede gewesen, von Degenerationen (S. 78). Das ist Greiners Blick auf diese Bewegung, aus der er sich vor allem die Inflationsheiligen herausnimmt und intensiv beschreibt. Das sind insbesondere Ludwig Christian Häusser, der „spektakulär gescheiterte Maniker“, und Gusto Gräser, der „liebe Arsch“ (S. 197).
Für mich persönlich sind gerade diese oft verspotteten Personen nicht der Kern der Lebensreform, während Greiner sich genau diese herausgreift.

Anlaß für Greiners Buch sind die Querdenker, bei deren Protesten ihm auffällt, daß es Parallelitäten mit den Inflationsheiligen gebe. „Es ist das alte ‚Deutschland, erwache!‘, nur diesmal unter dem Motto Corona statt Kohlrabi.“ (S. 118)
Neben dem festen Sitz im System, was die Coronamaßnahmen angeht, sitzt der Autor genauso fest im linken Spektrum – große Schnittmenge dank Ampelkoalition: Er führt aus, daß er Querdenker nicht als „Nazis“ bezeichnen werde, aber als „rechtsextrem“ (S. 21), was dazu führe, daß die Deutschen in den Coronaprotesten 2020 „Rechtsdeutsche“ seien. (S. 30) Ja, die Coronaproteste seien glatt eine der ersten gesamtdeutschen rechten politischen Bewegungen. (S. 17) Gegenüber den früheren Ausprägungen von Lebensreform sei die „3. Welle“ geprägt von der Konservativen Revolution und den Agitationen und Publikationen der Neuen Rechten.

Mit den Protestierenden kann er genauso wenig wie Speit anfangen: Mittelschicht, eher gebildet, viele Akademiker. Da würde jeder doch darauf tippen, daß gerade dieses Klientel sich intensiv mit Virus und Maßnahmen beschäftigt hat und möglicherweise gerade deswegen die Regierung kritisiert. Nichts davon bei Greiner, der das in seiner Sichtweise umdeutet: das seien „Menschen, die ihre Lebenskonzepte schon vor Corona in Gefahr sahen, fürchteten, die kulturelle Hegemonie und Wohlstand zu verlieren.“ (S. 117) Ach so…

Immerhin hält der Autor der Lebensreform zugute, daß sie politisch gewesen sei, wenn auch kleinbürgerlich-reformatorisch. Die Querdenker hätten den Sinn für Realpolitik verloren, sie zeichne eine „große apokalyptisch-revolutionäre Geste“ aus (S. 129), ein „sakrales Politikverständnis“. (S. 15)  „Rechts“ und „Links“ sollen bei den Querdenkern transzendiert werden.

So wie die Lebensreform sich um den Reinheitsgedanken drehte – links wie rechts -, bildete sie eine „Ursuppe“ (S. 16) für die heutigen Querdenker. Greiner präzisiert: die „tanzenden Kinder“ Muck-Lambertys seien nicht die „Hitlerjugend in Leinen“ (S. 107) gewesen, aber doch die Vorläufer rechter ökologischer Jugendbewegungen und der rechtsextremen Siedler in Ostdeutschland.
„Es führt keine direkte Linie vom Regime der Nazis zu den sogenannten Hygienedemos. Es ist eher umgekehrt.“ Der Weg der Querdenker führe nicht nach Auschwitz, aber in andere „Vorhöllen“, die einer „pluralen, liberalen, gleichberechtigten Demokratie zuwiderlaufen“.
Querdenken zu Ende gedacht führe nicht zu einem Genozid, aber zu „Blut-und-Boden-Staaten, patriarchal-rassistischen Mono-Gesellschaften“. (S. 14, meine Hervorhebung)

Die oben geschilderten Traditionslinien werden in der Sicht Greiners durch die Querdenker verbunden: „Vielleicht sind die Coronaleugner:innen Teil der ersten großen Sammlungsbewegung seit Weimar, die diese scheinbar durch die Zeitläufte aufgeriebenen und getrennten Traditionslinien verbindet. Die Spiritualität, die Reinheit, das Vertrauen auf das Eigene der ersten Lebensreform, das in der zweiten um 1980 (…) recht ungebrochen war.“ (S. 249)

Wir haben also folgende Schwerpunkte:

  • Der Autor befürwortet die Coronamaßnahmen, schreibt also aus der diametralen Position zu seinem Thema. Er steht 100% für dieses System mit Lockdowns, Ausgangssperren und Maskengängelei. Allein vor diesem Hintergrund kann er kein Verständnis für die Heterogenität der Querdenker aufbringen, ja, will es mutmaßlich gar nicht. Selbst die „Eigentlich-Guten“, die Grünen, Linken, werden vor der Schablone Querfront zu Bösen. Das Buch ist eine Kampfschrift, keine Analyse. Es negiert die Lebensentwürfe vieler Menschen durch Pauschalisierung.
  • Die Lebensreform ist für ihn eine Traditionslinie von der Romantik in den Nationalsozialismus und daraus wie ein Phoenix neu sich erhebend Richtung Alternativszene und Querfront. Für ihn ist klar, daß Querfront zu Ende gedacht in einer patriarchalisch-rassistischen Blut-und-Boden-Gesellschaft enden müsse. Die pauschale Diffamierung der Querfront hat Methode.
  • Die eher überdurchschnittlich gebildeten Demonstranten kanzelt der Autor als „Gegendemonstrant“ (S. 8) übers Ziel hinausschießend generell als „Rechtsextreme“ ab. Weil in unserer Obstschale zwei böse Äpfel neben drei guten Bananen liegen, müssen das also 5 Terroräpfel sein. Das ist die Greinersche Logik.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst um diese Gesellschaft stünde. Was Greiner offenbar gar nicht merkt: die Coronamaßnahmen enden potentiell in der gleichen „Mono-Gesellschaft“ oder Hygiene-Diktatur wie die von ihm befürchteten Zukunftsvisionen der Querdenker. Der „great reset“ ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich – je nach Standpunkt – wie der Greinersche Blut-und-Boden-Staat. Indem der Autor – wie auch Kollege Speit – die Regierungslinie als seine eigene setzt, kann er nur in die andere Richtung austeilen und muß alles irgendwie Rechts-Konservative in die Waagschale werfen, damit die Kritik an den heterogenen Demonstrationen in eine Richtung geframed werden kann.
Wo der Autor steht, kann man gerade an dem kleinen Detail ablesen, wie er den überdurchschnittlich gebildeten Protagonisten der Demos vorwirft, sie hätten Angst, ihre „kulturelle Homogenität“ zu verlieren. Ich weiß nicht, in welchem Universum Herr Greiner lebt, aber alle Kanäle schreien Wokeism. Manchmal hilft, Brille ausziehen und schauen, wie die Welt wirklich ist.

Denn mal ehrlich: wer als Folge der Querdenken-Proteste von Blut-und-Boden-Staaten redet, muß schon irgendwie den Boden (ohne Blut) unter den Füßen verloren haben. Nur Lauterbachs Dauer-Getöne von der ach so schweren Mutationswelle, die jetzt bald über uns hereinbrechen muß, ist ähnlich nervtötend.

Ich lasse das so stehen, weil mir schlichtweg die Motivation zur Auseinandersetzung mit so etwas fehlt. Ich lebe nicht in Greiners Welt. Die Bücher beider genannten Autoren sind Kampfschriften (man könnte auch Diffamierungsschriften sagen) gegen jede Form (aus jedweder Richtung) von Regierungskritik im Rahmen der Coronamaßnahmen.

Auch so eine interessante Parallele: wer hat früher die Inflationsheiligen ernstgenommen – außer den direkten Anhängern und Unterstützern? Sie wurden in der Mehrheitsgesellschaft belächelt. Wer nimmt heute Reichskriegsflaggen-Schwenker oder Reichsbürger ernst?
In den beiden Büchern spiegelt sich der Umgang der Politik mit der AfD bis hin zu Merkels Ansage, eine nicht genehme Wahl müsse „rückgängig gemacht“ werden. In der von Greiner so propagierten pluralistischen, offenen, demokratischen Gesellschaft muß man eine AfD aushalten können – er, der Autor, kann nicht einmal die heterogenen Querdenker-Proteste aushalten, ohne ein „ALLES-BRAUN!-Buch“ zu schreiben. Ja, man darf die AfD politisch bekämpfen. Man muß auch aushalten können, daß in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gegen überschießenden Regulierungswahn, gegen Corona-Panikmache und Wegsperren der Bürger neben mir in der Demo jemand steht, der politisch ganz woanders zuhause ist. Ich muß ihn nicht mögen, ich darf ihn kritisieren, aber wir ziehen in dieser Situation am gleichen Strang. Demokratie und Pluralismus heißen: aushalten können, tolerieren von abweichenden Meinungen. Daß das dank BLM / Wokeism / Genderideologie usw. immer schwerer wird, das zeigt gerade dieses Buch.

Auf die sogenannte „dritte Lebensreform“ gehe ich in einem gesonderten Beitrag ein.

2 Gedanken zu „Greiner – Die Diktatur der Wahrheit“

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