Heute abend werde ich einen sehr besonderen Film schauen, einen auf den ich mich seit tatsächlich über 20 Jahren freue. Es handelt sich um die filmische Darstellung des Lebens von Franz Schubert, Anfang der 1990er im deutschen Fernsehen unter dem Titel „Mit meinen heißen Tränen“ ausgestrahlt.
Der Hintergrund: 1992 habe ich Schweden für mich entdeckt – zwei Wochen Zelturlaub in der Natur, dann noch in weiteren Jahren in den 90ern eine Rückkehr in dieses nordische Land, mit dem mich damals auch das germanische Heidentum verband. Die Runensteine, die Schiffssetzungen – man spürte den „Geist der alten Zeit“ an so vielen Orten. Eines Abends saß ich im Auto, machte Notizen, hatte das Radio eingeschaltet. Meine Freundin lag vor dem Zelt, las, während es dunkler wurde, weil die Sonne schon untergegangen war.
Da wurde der Liederzyklus „Die Winterreise“ von Schubert angekündigt und ich hörte die ganze Ausstrahlung bis ich letztlich im Dunkeln im Auto saß. Die Stille um mich herum, die unermeßlichen Wälder (wir zelteten wild, waren also an diesem Abend nicht auf einem Campingplatz) – und dazu Schuberts Musik. Ich kam aus diesem konkreten Urlaub, ich meine, es sei 1993 gewesen, verändert zurück – auch zuhause suchte ich diese Stille. Hatte ich vorher (zu) viel ferngesehen, so wurde der Fernseher jetzt nur noch für eine Nachrichtensendung pro Tag eingeschaltet. Computer, Smartphone, Tablet … gab es damals noch nicht (für mich). In jener Zeit hörte ich viel klassische Musik, aber oft war es in meinem Raum einfach nur still – ich las, spielte Gitarre, sang und sah zu, wie es draußen vor dem Fenster dunkler wurde. Lange konnte ich diese „Gemütsverfassung“ aus dem Urlaub hinüberretten, aber eben doch nicht auf Dauer.
An einem dieser Tage las ich, daß im Fernsehen ein Dreiteiler über das Leben Franz Schuberts gezeigt werden würde. Das war „Mit meinen heißen Tränen“, ein Film von Fritz Lehner, 1986 gedreht. Die einzelnen Folgen hießen: Der Wanderer, Im Reich des Gartens und Winterreise. Ich kann das nicht in Worten wiedergeben, wie diese Filme in meine innere Stille hineinwirkten. Jahrelang suchte ich im TV-Programm nach einer Neuausstrahlung (es gab eine Kinofassung von 2006 unter dem Titel „Notturno“, von der ich nichts wußte), fand sie aber nicht. Erst jetzt erfuhr ich, daß „Notturno“ eben die Kinoversion ist, eine von zweien. Auf der DVD aus der Reihe „Der österreichische Film“ ist die nach des Regisseurs Auffassung letztgültige Version in zwei Teilen enthalten, die eigentlich für den „internationalen Festivalbetrieb“ gedacht war, daher wohl die englischen Titel: Love has lied (100 Minuten) und Winterjourney (131 Minuten).
Allein das Titelbild der DVD mit Udo Samel als Franz Schubert macht mich ganz sentimental: der Film bzw. der Eindruck, den er bei mir hinterlassen hat, verknüpfte sich auf enge Weise mit der damaligen Ruhe und, ja, Weltabgeschiedenheit. Das ist heute für mich wieder ganz großes Thema – und speziell in dieser Woche lebe ich alleine und kann mir jeden Tag völlig frei einteilen.
Neben der Vorfreude auf den Zweiteiler ist da aber auch die Gewißheit, daß meine heutige, gegenüber damals völlig veränderte Lebenssituation keine solche Ruhe mehr zuläßt. Im Grunde ist die Suche nach dieser Stille Lebensthema – und der Film verbindet sie mit einer Zeit, in der es mir sehr gut ging: Schweden, beruflicher Neuanfang / Studium, glücklich verliebt.
Wenn ich heute – wie z.B. letzte Woche an einem Tag – den Arbeitsrechner nach 13 Stunden ausschalte, die Kinder dann streitend nach Hause kommen, meine Frau wegen irgendetwas schlecht gelaunt ist, dann empfinde ich in ganzer Intensität diese 20 Jahre, die zwischen jenem Urlaub und heute liegen: So lange Zeit nicht im Norden gewesen, ein berufliches Tätigkeitsfeld, das mich finanziell einigermaßen unabhängig macht, aber nicht im Ansatz „Berufung“ ist, eine andere Frau an meiner Seite, eine „Ehefrau“ heute und der Kinder zwei. 😉
Also tauche ich ein in Notturno – mit einem Glas spanischen Rotweins aus der Tempranillo-Traube.