Puente Villarente bis León (CF28)

[Die Seite ist Teil des Berichts über meinen Camino Francés 2015.]

Weg bis León

Seit 22 Tagen war ich nun unterwegs, das ist eine ziemlich lange Zeit, wie ich beim Aufsprechen des Memos feststellte. Heute würde ich nur 12 Kilometer gehen müssen, also ungefähr, denn ich wußte noch nicht, wo ich in León unterkommen würde. Warum überspringen die Leute diese Strecke immer so gern? Sie war nicht so öde und monoton, wie man immer wieder lesen kann.

Sonnenaufgang hinter Puente VillarenteNach Villarente ging es zunächst im Halbdunkel durch Felder, bis bald die Vororte, hier vor allem Industriegebiete, der Großstadt begannen, wo ein Grundstück von einem ganzen Rudel wild bellender Hunde bewacht wurde. Aber hier gab es soviel zu schauen: die Namen und Beschriftungen der Firmen fand ich interessant, weil ich versuchte herauszufinden, was diese oder jene Firma denn konkret macht. Für mich fühlten sich die 12 Kilometer heute wie sieben oder acht an.
Kurz mußte ich in einer App nachschauen, ob ich noch auf dem Camino war. Normalerweise schaute ich einfach im Buch nach, aber wenn man nicht wirklich genau weiß, wo man ist, hilft das nicht. Dafür hatte ich die iOS-App TrekRight: Camino Francés mit vorher geladenen Karten auf dem Handy. Nach dem Einschalten mobiler Daten zeigte die App dann per GPS an, wo ich stand und wo der Camino verlief. Das Handy hatte ich übrigens den ganzen Tag an, weil ich damit auch fotografierte, aber fast kontinuierlich im Flugmodus. Wenige Male nutzte ich die App, aber dann war ich froh, daß ich sie hatte.
Eines der schönsten Sonnenaufgangsbilder meines Camino machte ich hier vor León am Ende eines längeren Stichs, den ich gerade hinaufgelaufen war. Dann kam ich an einem Friedhof vorbei, der von einer weißen Mauer umgeben und komplett mit Zypressen bewachsen war und so auf dem kleinen Hügel ein sehr ernstes Bild gab.

An einer Unterführung hatte jemand auf französisch geschrieben:
„Die Gemeinschaft des Seins ist ungleich der Gesellschaft des Habens.“
Vor der Innenstadt ging es über eine riesige, blau angestrichene Fußgängerbrücke über die Nationalstraße, eher ein Schandmal als eine architektonische Meisterleistung. Wie unterschiedlich Pilger sein können, zeigte sich in den Sprüchen, die ich an der Brücke fand. Am Anfang hatte eine Französin, wie ich vermutete, geschrieben: „Bienvenue dans la 2ème partie de ta vie. Et j’espère y faire irruption.“ Das heißt so ungefähr: „Herzlich willkommen in der zweiten Hälfte deines Lebens. Und ich hoffe, darin einen Ausbruch machen zu können.“
Das bewegte mich mehr als der vermutlich von einem Deutschen geklebte Sticker „Bitte ein Bit“ am Ende der Brücke, den jemand zu „Bitch“ abgewandelt hatte. Die Kathedrale konnte ich von hier oben auf dem Übergang noch nicht inmitten der unzähligen Dächer ausmachen.
Nervig fand ich die vielen Schilder eines comicartigen Löwen in Pilgerkleidung. An manchen Punkten waren neben einem solchen (eindeutigen) Schild noch 6 oder 8 Pfeile aufgemalt, damit der „blöde Pilger“ sich nicht verlaufen würde.
Sehr kühl war es heute morgen, ich hätte gut Handschuhe gebrauchen können. Vielleicht wäre es gut, welche in Astorga zu kaufen, dachte ich, weil es dann über die Berge gehen sollte. Doch alles in allem war ich guter Dinge: Der Camino hatte doch wirklich gut begonnen – 450 Kilometer und keine Blase. Lachend dachte ich darüber nach, wie intensiv ich mich mit dem Thema Fußcremes auseinandergesetzt hatte. Fakt war: meine Füße brauchen eine tägliche Dusche, mehr nicht. Die Tube Xenofit, die ich mitführte, habe ich vor ein paar Tagen in einer Herberge zurückgelassen.

Gedanklich arbeitete ich weiter an mir, an der Analyse meiner Persönlichkeit, was mich doch auch immer wieder etwas herunterzog. Es kann aber auch an der trostlosen Landschaft gelegen haben, die meinen Weg nun seit ein paar Tagen geprägt hatte. Es sei hier ganz klar gesagt: Wer meint, der Camino Francés sei „Natur pur“, der sollte lieber fernbleiben. Der Jakobsweg orientierte sich schon im Mittelalter an den (damals) großen Verkehrsadern – und das sind heute die Nationalstraßen. Da kamen dann mehrere Dinge zusammen: lange gerade Wege entlang von Straßen, ödes, weites Umland hier am Ende der Meseta, die abgeernteten braun-beigen Felder…
Was das rechte Knie anging, so war dieser leichte Schmerz, der sich über den Tag mit der Besichtigung Leóns steigerte, etwas, das ich fast schon erwartet hatte. Ich hatte immer gedacht: Das ist komisch, der Camino läuft für dich so „durch“, alles OK, hatte aber doch im Hinterkopf (oder war es eher ein Bauchgefühl?) die Sorge, daß noch „etwas passieren“ könnte. Und jetzt war dieses Gesundheitsproblem da, das ich nicht komplett einschätzen konnte. Nachdem zunächst beide Knie geschmerzt hatten, war es jetzt nur noch das rechte – und das eben meist bei Ruhe. Aber gut, solange es so blieb, wie es heute war, würde mich das nicht aufhalten. Aber meinem Memo vertraute ich an diesem Morgen möglicherweise auch durch das Eintreten in den Dunstkreis der Großstadt an, daß da doch auch eine leichte Angst war: ob ich die Berge hinter León gut hochkommen würde, das würde sich erst zeigen, ich mußte also nicht jetzt schon darüber grübeln… Das ist so unsinnig, denn es zieht mich herunter.
An einer Brücke sammelten THW-Mitarbeiter Spenden für die Notrufnummer 112, wie ich verstand, bzw. unterstützten ihrerseits die Pilger. Ein Mann sprach mich sehr nett an: ob ich Info benötige, wo ich herkomme, wo ich heute schlafen wolle. Wir sprachen kurz auf englisch, er zeichnete mir die Herberge der Benediktinerinnen auf einer kleinen Innenstadtkarte ein und gab sie mir mit. Sehr nett – solche Erfahrungen machte ich immer wieder.
Ich kam an der Santa-Anna-Kirche mit ihrem großen Storchennest vorbei, aber leider sah ich auf dem ganzen Camino keinen einzigen Storch, denn die waren offenbar bereits wieder weg, obwohl es hier noch so schön warm war. Im Juli 2017 sah ich dagegen viele Störche auf dem Camino.
Bald ging es durch die Puerta Moneda, ein Tor in der alten Stadtmauer, hinein in die Innenstadt. Durch lange, schmale Gassen führte der Weg bis zur Herberge Santa María de Carbajal. Die Pilger traten durch ein großes Hoftor ein, während es für die Hotelgäste eine richtig edle Pforte gab. Da ich früh war, mußte ich noch gut eine Stunde warten, bis der „Abfertigungsbetrieb“ der Benediktinerinnen begann. Das klingt negativ, war aber doch effizient (wenn auch unpersönlich), um große Pilgermassen unterzubringen. Man meldete sich an, wurde nach Männlein und Weiblein getrennt und zum Schlafraum geführt. Jungen Pilgern (also auch mir…) wurden nur obere Betten zugewiesen, die unteren waren für ältere reserviert. Die Schlafsäle waren eng mit Betten zugestellt, wie man das mittlerweile schon gewohnt war.
Nachdem ich mir hier noch ein neues Credencial (Pilgerausweis für die Stempel) besorgt hatte, da auf meinem so langsam der Platz ausging, stellte ich nur meine Sachen ab, tauschte die Wanderstiefel gegen die Laufschuhe und war schon wieder unterwegs, um mir die Stadt und vor allem die Kathedrale anzusehen.

León

Kathedrale LeónÜber die Plaza S. Martin kam ich zur Plaza Mayor, wo man ein großes Festzelt, wohl für das Fest San Froilán, aufgebaut hatte. Hinter einem roten Hausdach sah ich schon eine helleuchtende Spitze der Kathedrale. Dieser Bereich wird barrio húmedo genannt, feuchtes Viertel, weil es hier viele Bars, Cafés, generell Plätze mit Einkehrmöglichkeiten gibt. Bald stand ich vor der mächtigen Kathedrale, die ich gleich von Süden her fotografierte, also in ihrer Ost-West-Ausrichtung. Ich umrundete die Kathedrale im Osten, habe in einer Bar noch etwas getrunken und ein Brot gegessen, bis ich im Norden direkt auf den Vorplatz kam, auf dem ein Obst- und Gemüsemarkt abgehalten wurde.

Kathedrale LeónJa, wie beschreibe ich das nun? Diese Kathedrale, die auf den ehemaligen römischen Thermen steht, ist ein Wunderwerk, das durch seine Höhe und die unglaubliche Anzahl von bemalten Glasfenstern (1800 Quadratmeter) wirkt. Als ich mich in das gotische Gotteshaus, das zwischen 1255 und 1302 erbaut wurde, begab, schien die Sonne durch die hohen Glasfenster und warf buntes Licht ins Innere. Mit offenem Mund stand ich da und ließ dieses beeindruckende Schauspiel auf mich wirken. Allerdings ist es auch so, daß die Kathedrale in Ermangelung der vielen Kapellen, wie sie sich in Burgos finden, „leer“ wirkt, was natürlich den Effekt der Glasfenster wiederum unterstreicht. In aller Ruhe schlenderte ich weiter, sah die steinernen Grabplatten an und fragte mich, wer wohl diese Menschen waren, die man hier abgebildet hatte. Irgendwann fiel mir auf, daß ich das Bildformat am iPhone aus Versehen auf „quadratisch“ eingestellt hatte, Mist, also den Weg zurück und die gleichen Bilder noch einmal aufgenommen. Im Hintergrund liefen angenehme gregorianische Gesänge vom Band.

Kathedrale LeónEine der wenigen Seitenkapellen ist der Heiligen Teresa de Jesús (Theresa von Avila) gewidmet, deren 500. Geburtsjahr man 2015 feierte. Dazu gab es ein kleines Gebetskärtchen mit einem schönen Gebet anläßlich dieses Festes. Wenn da jedoch von der „Frau der Kirche, Theresa“ die Rede ist, muß man ja schon mal darauf hinweisen, wie sehr eben dieser Kirche Inquisitionsbeauftragte die Mystikerin im Fokus hatten. Immerhin wurde sie nicht, wie ihr Bruder im Geiste, Juan de la Cruz, gefoltert…
Auch interessant: die Statue eine schwangeren Maria, habe ich so auch noch nicht gesehen.

Nach dieser Besichtigung der Kathedrale ging ich die Haupt-Einkaufsstraße, die „Calle Ancha“, herunter, wo ich zur Plaza San Marcelo (an der gleichnamigen Kirche) kam. Dort befindet sich auch die von Antoni Gaudí gestaltete Casa Botines mit der Drachentöter-Figur über dem Eingang, in der heute eine Bank ihren Platz gefunden hat. Hier an dieser Stelle fährt regelmäßig ein Touristenzüglein, wie man es allerorten findet, ab. Schon nach Burgos hatte mir ein Amerikaner erzählt, daß er dort die Rundfahrt mitgemacht und so vieles in kurzer Zeit über die Stadt erfahren habe. Also stieg ich kurzentschlossen in den Zug, der bald loszockelte. Insgesamt waren wir etwas über eine halbe Stunde unterwegs. Da ich der einzige Ausländer unter vielen Spaniern war, gab es nur spanische Ansagen. Wir sahen beispielsweise auf der Rundfahrt: Kathedrale, Basilika San Isidoro, Plaza de la Inmaculada, Plaza de San Marcos mit dem Parador-Hotel, Plaza de Guzman, Parque del Cid. Alles in allem bekam ich ein Gefühl dafür, was wo in León liegt. (Und Sitzen und Gefahrenwerden war ja auch mal schön bei dieser fußlastigen Unternehmung.)

San IsidoroDiese Basilika San Isidoro ist eine ähnliche Kirche wie San Nicolás in Burgos: etwas abseits der Hauptattraktion (Kathedrale) gelegen, kommen hier Spanier zum Beten in einer sehr ruhigen Atmosphäre. Als ich hier um die Mittagszeit war, konnte ich vor allem junge Spanier zum Teil in Business-Anzügen beim Beten sehen. Ich setzte mich ebenfalls für einige Zeit in eine der hinteren Bänke und genoß die Ruhe. Danach aß ich auf dem Vorplatz eine Paella und ging wieder in Richtung meiner Herberge – und traf auf Shelley, die Neuseeländerin, die ich nun schon tagelang nicht mehr gesehen hatte. Ich setzte mich zu ihr, trank ein Bier und wir redeten darüber, wie es dem anderen in der letzten Woche ergangen war. Ich spürte, daß zwischen ihr und Robin Spannungen bestanden. Wir verabredeten uns zum Abendessen auf dem Vorplatz der Kathedrale, dann ging ich statt zur Herberge ins Kathedralenmuseum, das großartig ist. Neben dem Kreuzgang gibt es unglaublich viele Exponate, einen Jakobus Matamoros in plakativer Darstellung, eine sehr schöne Figur von Johannes dem Täufer aus dem 13. Jahrhundert und eine schlichte Mariendarstellung aus Eichenholz mit Farbresten aus dem 14. Jahrhundert, bezeichnet als „Calvario“.

Neben Eunate, Villalcazar de Sirga und Los Arcos ist dies vor allem in ihrer Schlichtheit eine der schönsten Mariendarstellungen, die ich auf dem Camino gesehen habe. Im Original stammt sie aus Gusendo de los Oteros, einem Ort ca. 10-15 Kilometer südlich von Mansilla de las Mulas. Viel habe ich hier in diesem Museum fotografiert, bis ich dann sehr müde und mit schmerzenden Knien zur Herberge gegangen bin.
Dort lag ich eine Weile auf dem Bett, hörte weiter das Audiobook von Kerkeling, schrieb eine Mail an Helga und entspannte, mußte aber schon bald wieder los, um Shelley und Robin zu treffen.

Ich kam um die Ecke zum Kathedralenplatz und wen sah ich da auf der Straße? John, Linda und Cathy, meine Amerikaner vom ersten Tag in der Herberge Corazón Puro, die ich zuletzt – oh, Gott, wie lang ist das her?! – in Pamplona gesehen hatte. Ich erschrak, als ich John sah: abgemagert, schmales Gesicht, fast schon ausgemergelt. Es war klar, daß er den Strapazen kaum gewachsen war. Linda und Cathy fand ich sehr angespannt… Trotzdem freute John sich, mich wiederzusehen. Wenn ich mich recht erinnere, kamen sie gerade vom (Bus-)Bahnhof, waren also nicht zu Fuß in León angekommen. Nun gut, wer es definitiv nicht schafft, muß halt auf andere Transportmöglichkeiten ausweichen; so sagten sie mir, daß sie jetzt mit dem Bus „springen“ und kleine Etappen laufen. Wir wechselten ein paar Worte, aber John wollte schnell in Hotel.

Kathedrale LeónIch aß mit Shelley und Robin im Restaurant La Catedral zu Abend, ein vorzügliches Menü. Es war so unglaublich schön, mit den beiden (also vornehmlich mit Shelley) wieder zusammen zu sein. Nach dem Essen trafen wir auf dem Kathedralen-Vorplatz noch einmal Linda und Cathy, die sagten, John sei bereits im Bett. Sie bestätigten, daß er eine schwere Zeit habe.
Auch Robin, Shelley und ich trennten uns, wünschten uns „Buen Camino“. Ich ging früh ins Bett, habe trotz Massiv-Schnarcher neben mir gut geschlafen.

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