Rudolf Bahro – Die Logik der Rettung (Hausarbeit) – Teil 2

Fortsetzung von Teil 1

Der mental-rationale Geist

An dieser Stelle setzt die vierte und heutige Bewußtseinsstufe an, der mental-rationale Geist, vorangelegt in der Conditio Humana. Charakteristisch ist, daß nun die Wirtschaft und die Institutionen nach oben hin über das Bewußtsein ausgelagert wurden und dieses nun dominieren. Der lebendige Geist wurde unterjocht von der Kapi­taldynamik und ist nun lediglich Funktionär der Megamaschine. Kapitaldynamik meint folgendes: Nach dem Schwert des Kriegers wurde nun das Geld des Kaufmanns das Mittel zur Macht. Hinter dem Profitmotiv des kapitalistischen Industriesystems steht das Machtmotiv, der Wunsch, sich Freiheit von etwas zu erkaufen, statt Freiheit zu etwas zu erlangen. Geld dient damit nur der Abkopplung von der Gemeinschaft, dient als Charakterpanzer für das schwache Ich. Und last not least steht Geld für das Leistungsprinzip in unserer Gesellschaft.
Diese Entwicklung beginnt m.E. mit der Entstehung mittelalterlicher Städte, in denen sich eine reiche Bürgerschicht bildete, die umfangreiche Rechte gegenüber dem Bauerntum (Stadtrechte) hatte. Besonders wichtig ist, daß das Geld nicht mehr reines Tauschmittel blieb, sondern sich durch den Zins „selbständig“ vermehren konnte.
Der Weg in die Megamaschine führte über die Anfänge der arbeitsteiligen Fertigung in Manufakturen, über die industrielle Revolution bis hin zur heutigen Überflußpro­duktion. Megamaschine meint dabei nicht Industrie, sondern das Industriesystem als Gesellschaftssystem, das einen vom Industrialismus bestimmten Machtkomplex darstellt, der alle gesellschaftlichen Erscheinungen einbezieht, auch die Massenmedien, die Bildungseinrichtungen usw. Der Mensch und auch alle Werte (Demokratie, Freiheit …) sind nur noch Diener (minister) des Systems, die Steuerung erfolgt über den Markt.
So ist also am vorläufigen Ende dieser langen Bewußtseinsentwicklung der einseitige, rationale Verstand unfrei geworden in den Strukturen, die er erschuf!
Der Mensch lebt als „Top-Parasit“ entfremdet vom Urgrund, dient in zerstörerischer Weise dem „rationalistischen Dämon“. Diese Prozesse brachte Laudse – ohne sie in ihren aktuellen Ausmaßen zu kennen – in folgenden Worten auf den Punkt: „verloren ging das große Dau – güte und rechtschaffenheit entstand / hervor trat die klugheit – die große heuchelei entstand / zerrissen war die sippe – der familiensinn entstand / in wirrnissen zerfiel der staat – der treue minister entstand.“

Hier sind wir angelangt – das „erbärmliche großtun von räubern“(Laudse) entspringt einem Mangel an echter innerer Freiheit; die Geschichte der Menschheit ist von egozentrischer Flucht nach vorn in eine Pseudounsterblichkeit geprägt.

Wie Bahro die Rettung sieht

Warum geschieht nichts gegen diesen Exterminismus? Weil die Menschen sich der Selbstausrottungslogik nicht bewußt sind, weil sie Angst haben vor dem Verlust von Scheinsicherheit, weil der Wille zur Umkehr nicht da ist, zu einer „geistigen Bewältigung der Gier“.
Von sieben beschriebenen Möglichkeiten des Umgangs mit der Krise verwirft Bahro sechs und läßt nur den spirituell-fundamentalistischen Ansatz gelten. Er fordert den Auszug aus der Megamaschine und die Umkehr zu einer neuen Ordnung, Ordine Nuovo, die sich über einem spirituellen Fundament erhebt. Diese kulturrevolutionäre Umkehr­bewegung, die eine komplette Neuinstitutionalisierung der Gesellschaft mit sich bringen muß, nennt Bahro in ihrer Gesamtheit den „Fürsten der ökologischen Wende“. In der Praxis teilt er diese Utopie in zwei Bereiche auf, aber nur um der leichteren Erklärbarkeit willen, d.h. sie sind nicht getrennt zu sehen. Da ist zum einen die individuelle Transformation jedes Menschen, der Bruch mit dem egozentrischen und patriarchalen Selbstkonzept, der nur von der Funktion des menschlichen Gehirns her anzugehen ist. Der Weg ist die Spiritualität, die Rückbindung an den Ursprung, der zentrale Begriff der der Meditation. Nur der Mensch, der sich selbst gefunden hat, kann liebend über die Grenzen des eigenen Ichs hinwegblicken, denn es gilt nun, in innerem Handeln das Steuerruder zu übernehmen und nicht wieder zu versuchen, primär in Außenweltveränderung das Heil zu suchen. Neben diesem Prinzip der Meditation steht nun der andere Bereich der Rettungspoltiik.

Bahro meint also mit dem „Fürsten“ nicht nur die neue Identität der Menschen, sondern auch politische Eingriffe in die Struktur des Industriesystems, die Neuinstitutionalisierung; v.a. meint er nicht Realpolitik im derzeitigen parlamentarischen System, das er mehrfach in der Weise kritisiert, daß er von „Abzähldemokratie“ oder „Demagokratie“ spricht, die lediglich der Legitimation der bestehenden Verhältnisse diene. „Nur von Verwandelten kann Verwandlung ausgehen!“ sagt Bahro und verbindet damit die Praxis der Innenweltveränderung mit der Forderung nach Handeln, denn zögen sich alle Menschen in die Stille von Meditationsräumen zurück, würde dadurch die vor der Tür stehende Megamaschine nicht gestoppt.
Als Ideal sieht Bahro den „homo integralis“ (nach Gebser). Das vorhandene, machtsüch­tige Ich soll nicht ausgelöscht, sondern transzendiert werden, d.h., daß als feindlich behandelte frühere Bewußtseinsstufen in einem erneuten Gang zu den Ursprüngen (temporäre Regression!) erfahren und nach oben hin integriert werden sollen, indem man der Intuition wieder ihren Platz einräumt und die Vernunft auch auf ihren (beschränk­ten) Platz verweist. Bahro will also, daß die Menschheit eine völlig neue, höhere Bewußtseinsverfassung erreicht, deren „Selbst“ weltidentifiziert ist und durch Entwicklung von echter Liebesfähigkeit ganzheitlich anerkennen kann, daß das Zentrum überall ist. „dem, der liebend der welt gleichsetzt sein selbst / mag man die welt anvertrauen“(Laudse) – oder wie Bahro sagt: „Erkenne dich selbst (in allem)!“
Nur so können die langfristigen, allgemeinen Interessen des Systems „Gaia“ im Vor­dergrund stehen.
Weiterhin wichtig ist die Gründung der Spiritualität im Eros. Bahro spricht vom nachpatriarchalen spirituell-erotischen Paar, dessen Verbindung er mit der Vorstellung von der „Heiligen Hochzeit“ beschreibt, in der er den „Königsweg“ zu einem höheren Bewußtsein erblickt.
Der Ausgangspunkt der Umkehr muß eine kritische Masse von Menschen sein, eine Elite, die, mit dem Bild des Sauerteigs gesprochen, sich und andere transformieren kann.
Im Gegensatz zu diesen kommunitären Basisgemeinden müßten die „dumpferen“ (Bahro) Schichten des Volkes wenigstens bereit sein, die Umkehr hinzunehmen, doch ist von ausschlaggebender Bedeutung, daß sich eine unsichtbare Kirche entwickelt, eine Ge­meinsamkeit der Vision, so daß sich die Zukunft in der Auseinandersetzung zwischen den exterministischen und integralen Eliten zugunsten der letzteren entscheidet.
Als Prinzipien für eine neue, spirituell fundierte Kultur nennt Bahro die folgenden:

  • Es muß die Priorität auf die „ursprünglichen Zyklen und Rhythmen des Lebens“ ge­legt werden, weg vom Fortschritt als Triebrad der Gesellschaft.
  • Das irdische Gleichgewicht muß als Ganzes über allen Partikularinteressen stehen, es darf nichts geschehen, was die Erde schädigt.
  • Völlige Abrüstung und Zurückschrauben der Industrie stehen an, d.h. kein Touris­mus, keine Autos, weniger Medikamente, Geld wieder als reines Tauschmittel usw.
  • Die Wirtschaft darf v.a. nicht mehr der dominierende Bereich im Leben sein. „Alle grundlegenden Reproduktionsfunktionen … gehören in den lokalen (kommunalen und kommunitären) Zusammenhang zurückgegliedert“(Bahro). Stämme 2. Ordnung! Gemeint ist also eine Kontraktion von der großen Ellipse im Schema der Abspaltung zum kleinen Kreis, vom toten Geist zum lebendigen Bewußtsein, das sich die Wirtschaft, die Institutionen unterordnet.
  • Subsistenzwirtschaft mit „freiwilliger Einfachheit und sparsamer Schönheit“ ist grundlegend. Jeder Erwachsene sollte 1000 Quadratmeter landwirtschaftliche Nutzfläche erhalten.
  • Zwischen den dezentralen Gruppen muß es gegenseitige Hilfe, ein einigendes Netzwerk geben, das diese Keimzellen des Neuen verbindet.
  • Entwicklung einer neuen Sittlichkeit aus der Regelung alltäglicher Konflikte.

Bahro lehnt den Gedanken an eine Ökotyrannis nicht völlig ab, er sagt aber auch ganz deutlich, daß selbst eine „ideale“ Tyrannis nichts wirklich ausrichten kann, wenn nicht Millionen von Menschen tatsächlich innerlich umkehren. „Ein starker Staat könnte einiges verhindern, einen neuen kulturellen Anfang stiften kann kein Staat.“ (Bahro). Indem er von der Entwicklung der eigenen Kaiserlichkeit, von Königinnen und Königen spricht, mischt Bahro Laudses Vorstellung vom „Herrn der Welt“ mit seiner Aussage, daß die Deutschen schon immer sehr ansprechbar gewesen seien für charisma­tische Führer, v.a. glaubt er, daß ein Volk aus der ökologischen Krise nur herausgeführt werden kann. Er zieht Parallelen zur Nazizeit, indem er auf die beachtlichen Energien des Volkes hinweist, die es aber gleichzeitig einem Führer wie Hitler ermöglichten, unumschränkt zu herrschen und die Menschen zu mißbrauchen. Diese Energien wünscht sich Bahro nun innerhalb einer Republik der Königinnen zu etwas
Besserem gelenkt, dergestalt, daß der Machtwille im Menschen spirituell begrenzt werde, daß wahre innere Autonomie Totalitarismus verhindere.
Bahros Vision ist ein moderner Gottesstaat in Übereinstimmung mit der kosmischen Ordnung, wobei er Gott als Instanz im Menschen und im Ensemble aller Menschen versteht. Während Bahro von der Utopie einer Rettungsbewegung spricht, hat er eine konkrete Idee zu einer Rettungsregierung – ein begrenztes Projekt als Vorposten für die neue Ordnung – die er mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr vergleicht, die genauso selektiv repressiv seien (wenn man versucht, schlechte Gewohnheiten loszu­werden) wie die Kollektivversion einer Rettungsregierung, von der das Volk – wie Bahro betont – nichts zu fürchten hätte.
Die Vorstellung ist die von einem Ober- und Unterhaus. Im ersteren, dem „Hause of The Lord“, sollen alle anfallenden Fragen vom Standpunkt des Systems Gaia aus diskutiert werden, wohingegen das Unterhaus unserem konventionellen Parlament ähnlich sein kann, dort würden nur die Partikularinteressen ausgehandelt.
Vor dem Hintergrund seiner Führungsvision spricht Bahro von einem Wahlkönigtum, das heißt, daß das Volk einen Präsidenten als Repräsentanten wählen soll.
Die Perspektive ist die einer Weltregierung, die an der Spitze eines auf der lokalen Ebene beginnenden Modells von Stammesräten stehen müßte.

Persönliche Stellungnahme

Nächster Teil (inkl. Bibliographie) folgt.

2 Gedanken zu „Rudolf Bahro – Die Logik der Rettung (Hausarbeit) – Teil 2“

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