Schweigeexerzitien im Kloster (1) (Mystik 4a)

Im Tee-Artikel hatte ich von Meditation und Kräutertee erzählt und auf einen Artikel „in der Mache“ verwiesen – das ist er nun. Ich war in der Osterwoche bzw. genau 10 Tage bis zum Ostersonntag zu Schweigeexerzitien im Kapuzinerkloster in Irdning in der Steiermark. In diesem Artikel möchte ich nun ein wenig darüber berichten, allerdings muß ich dazu etwas ausholen. Bear with me. 😉

Der regelmäßige Leser dieses Blogs konnte seit ca. 2012/2013 eine inhaltliche Verschiebung hin zu christlichen Themen erleben. Ich will einfach auf die drei Artikel zum Thema Mystik verweisen (1 / 2 / 3), die diese Entwicklung zwar beschreiben, aber doch – aus heutiger Sicht – wieder einer Ergänzung bedürfen. „Damals“ war ich sehr auf Willigis Jäger fixiert, wollte mir (Ende des dritten Artikels) das Buch „Wolke des Nichtwissens“ in seiner Übertragung / Kommentierung kaufen sowie ein Buch von Enomiya-Lassalle. Habe ich beides nicht gemacht – speziell die „Wolke des Nichtwissens“ habe ich mir erst vor kurzem in der auf jener Seite erwähnten Ausgabe von Riehle, also mit dezidiert christlichem Bezug, gekauft. Ich bin generell heute weiter weg von Jäger, als ich es damals war (von seiner „Unendlichkeitsmystik“, wie P. Stutz sie nennt) – und so mehr auf eine speziell christliche Mystik ausgerichtet, ohne die interreligiösen Aspekte vernachlässigen zu wollen. Das als eine Erklärung.

Eine weitere Erklärung kann ich eher mit dem Begriff „Praxis“ überschreiben. Mystische Erfahrungen macht man selten einfach so im Alltag, sie setzen eine gezielte Suche nach dem „Urgrund“, dem Göttlichen, voraus, also eine Art von Meditation oder Kontemplation. Kurz zu diesen Begrifflichkeiten: Meditation hat einen Bedeutungswandel durchgemacht. Im (christlichen) Mittelalter verstand man darunter eine intensive Betrachtung eines Textes, z.B. aus der Bibel. In der Trilogie Lectio, Meditatio, Contemplatio wird klar, daß nur die Contemplatio diese „Beschauung“ meint, die wir heute auf der Basis eines östlichen Meditationsbegriffes bzw. -verständnisses als Kontemplation bezeichnen. Von daher spreche ich hier immer von der Kontemplation, wenn ich dieses stille Sitzen meine.
Diese Praxis fehlte mir seit vielen Jahren. Immer wieder hatte ich versucht, selbständig mit diesen Übungen zu beginnen. Dann hatte ich mir vorgenommen, dies bei meinem Jakobsweg 2015 in ruhigen Momenten einfließen zu lassen. Auch das habe ich nicht (oder kaum) umgesetzt. Letztlich konstatierte ich dann in einem Audiomemo vom Ende des 2015er Caminos: Na ja, dann ist das halt für mich wohl nicht wichtig gewesen.

Das war Unsinn, denn es blieb wichtig und im Jahr 2017 kam der Zeitpunkt, als ich ganz konkret anfing, nach Möglichkeiten zu suchen, die mir das Erlernen der Kontemplation in einer Gemeinschaft erlauben würden. Das hatte den Hintergrund, daß die post-Camino-Jahre 2016 und 2017 aus spiritueller Sicht für mich sehr unbefriedigend waren. In meinem spirituellen Tagebuch habe ich immer wieder über diese Sehnsucht nach Gotteserfahrung und meine „Dämonenkämpfe“ (in Anlehnung an den Sprachgebrauch der sogenannten Wüstenväter) geschrieben, also „schlicht und ergreifend“ den Auseinandersetzungen mit den Folgen von „Gottesferne“, der modernen Umschreibung für Sünden (S. Bobert – Sünde / Sonderung- lesenswert! [Artikel 2021 nicht mehr online]). Ich schaute oft zurück zu den tiefen Erlebnissen auf dem Camino und fragte mich, was davon geblieben war oder wie es ganz einfach von Tag zu Tag weitergehen soll.

Ich mußte – das wurde mir klar – ganz konkret, ganz intensiv und unter Anleitung die Kontemplation erlernen und üben – ich mußte das jetzt für mich herausfinden, klären, um dann erst weiterschauen zu können.

So kam ich nach längerer Suche im Web auf die Seiten des kleinen Kapuzinerklosters Irdning in der Steiermark. Dort werden zehntägige Schweigeexerzitien mit Einführung in das kontemplative Gebet auf der Basis der Kurse von Franz Jalics angeboten. Jalics gründete das Haus Gries, wo er selbst von 1984 bis 2004 Exerzitienkurse zur Erlernung des Jesusgebets anbot.

Irdning teilt das Schicksal vieler Ordensgemeinschaften: Nachwuchsmangel. Heute leben dort noch zwei Kapuziner: Bruder Erhard (84) und der 64-jährige Bruder Rudolf, der zusammen mit Elisabeth Berger, einer Dipl.-Lebens- und Sozialberaterin, diese Kurse im Kloster Irdning anbietet. Laut einem Artikel in Furche Spezial (12-2014, online nicht mehr abrufbar) ist das Kloster vor Jahren für eine neue Form der Gemeinschaft geöffnet worden: auch Frauen können hier wohnen und arbeiten.
Aus wirtschaftlicher Sicht helfen die Kurse, die Unterhaltskosten des Klosters zu decken. Doch in religiöser Hinsicht bringen die Teilnehmer „Schwung“ und Leben in die alten Gemäuer. Bruder Rudolf hat seinerseits die Kontemplation bei Franz Jalics erlernt. Die Kurse im Kloster Irdning werden seit über 20 Jahren in der Tradition von Jalics angeboten.

Von Jalics gibt es das Buch über Kontemplative Exerzitien, auf das ich mich hier einige Male beziehe.

So möchte ich zunächst erklären, wie diese Kontemplation zu verstehen ist. Jalics bezieht sich in seiner Erklärung auf den dreifachen mystischen Weg, wie er schon bei Thomas von Aquin dargelegt ist: via purgativa (Reinigungsweg), via illuminativa (Erleuchtungsweg) und via unitiva (Vereinigungsweg).

Ich gebe Jalics grob wieder: Reinigungs- und Erleuchtungsweg sind vorkontemplative Wege, auch als vorkontemplatives Gebet (oder Askese) bezeichnet. Der Reinigungsweg ist der Weg der Vernunft, des Denkens und willensgemäßen Handelns. In dieser Phase orientiert sich der Mensch willentlich auf Gott hin. Beim Erleuchtungsweg wird die Vernunft „durch ein einfühlsameres inneres Gespür ergänzt“ (Jalics). Der Mensch analysiert seine Handlungen, versteht Störungen, verarbeitet frühere Erlebnisse und erlernt „Haltungen, die der Liebe und der Menschlichkeit entsprechen“ (a.a.O.).

Erst der dritte Weg, die via unitiva, ist der mystische, der auch als Beschauung bzw. Kontemplation bezeichnet wird. Das Besondere ist hierbei lt. Jalics, daß Gott nun die Initiative übernehme und der Mensch sich nur noch darum bemühen muß, sich nicht mehr bemühen zu müssen… 😉
Es geht um das Loslassen, das Leerwerden in der Ausrichtung auf Gott. Und solange der Mensch sich noch bemühen muß, bezeichnet man diese Phase als „aktive Kontemplation“. Und es ist genau dieser Übergangsbereich, an dem die Exerzitienkurse ansetzen. Die vorkontemplativen Erlebnisse, das Durchdenken des eigenen Lebensweges und auch das Fällen wichtiger Entscheidungen, die Wenden im Leben herbeiführen sollen, das ist nicht im Fokus der Exerzitien. Aber auch sind es nicht die tieferen Formen der Mystik, die jenen vorbehalten sind, die schon weiter auf dem Weg fortgeschritten sind.
Hier geht es also um den Einstieg in die Kontemplation, um das Bemühen, durch dieses Übergangsstadium hindurch zu einer tieferen Kontemplation zu gelangen.

Und so fuhr ich am 22. März ins „Fundamentalisten-Camp“ (älterer Sohn) zu den „Exerzisten“ (jüngerer Sohn).

(Fortsetzung folgt)

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