Schweigeexerzitien im Kloster (2) (Mystik 4b)

Nach einer angenehmen Zugfahrt kam ich in Stainach-Irdning an, wo gleich mehrere Teilnehmer von Elisabeth und Bruder Rudolf mit Autos abgeholt wurden.

Ich will nicht viel über das Kloster schreiben, das kann man auch selbst z.B. im Flyer (Flyer von 2015 offline, 2020 offline, aber Programm 2022 ist online, bitte f. aktuelles Jahr ggf. selbst suchen) nachlesen. Zunächst hieß es: ankommen. Jedem wurde seine „Zelle“ gezeigt, ein kleines, einfaches Zimmer mit Schrank, Bett und kleinem Schreibtisch. Meine Zelle lag innerhalb der früheren Klausur, also des abgeschlossenen, nur für die Mönche zugänglichen Bereichs eines Klosters. Es gab einen kurzen Rundgang, sodann Bezahlung der Kurskosten – im Anschluß folgte schon das Abendessen. Man stellte sich gegenseitig vor, und natürlich kam oft die Frage auf: Warum bist du denn hier? Nun, das habe ich dir, lieber Leser, ja hier schon erklärt.
Nach dem Abendessen gab es die obligatorische Vorstellungsrunde, bei der jeder über sich erzählen konnte. Ich saß in einer Runde von 19 Teilnehmern, die vom Alter so zwischen Mitte 20 und 70/75 lagen. Es gab die Seniorinnen, die zum wiederholten Mal teilnahmen, junge Unternehmer, die sich darüber austauschten, wie sinnvoll „Meditation“ für „Manager“ sei. Jeder entschied, wieviel er über sich und seine Beweggründe erzählen wollte. Und gleich nach dieser Runde begann – das SCHWEIGEN… 😉

Ich wundere mich darüber, wie sehr die Menschen, denen ich später über die Exerzitien erzählte, bei diesem Punkt des Schweigens blieben und oft sagten: Oh Gott, das könnte ich nicht einen Nachmittag aushalten…
Dabei war das Schweigen ja nur Mittel zum Zweck. Konkret sah das so aus, daß man wirklich nur dann miteinander sprach, wenn es unbedingt nötig war, z.B. bei Absprachen zur Hausarbeit, an der man täglich mit ca. einer Stunde beteiligt war. Natürlich sprach man auch in der Austauschrunde (ca. alle zwei Tage) kurz zum eigenen Befinden und bei den Einzelgesprächen, die jeder mit Elisabeth und Bruder Rudolf „buchen“ konnte. Buchen im Sinne von: man trug sich in eine Liste ein und konnte selbst wählen, wie viele Gespräche man haben möchte.
Mittag- und Abendessen wurden gemeinsam eingenommen, natürlich auch im Schweigen. Nur vorab und nachher sangen wir in der Runde ein Lied. Schön war es für mich, daß darunter auch einige Taizé-Lieder waren.

Da ich schon beim Essen bin, hier in Kürze der Ablauf eines Standardtages: Ab 6 Uhr gab es Gelegenheit zur Meditation (oder Frühmesse in der Kapelle oder Qi-Gong-Übungen), dann folgte das Frühstück um 8 Uhr. Von 9-10, 11-12, dann wieder 14-15 und 16-17 Uhr waren die „Kernzeiten“ für die gemeinsame Kontemplation. Im Anschluß an das Abendessen folgte um 20 Uhr die „Ansprache“, theoretische Ausführungen zu verschiedenstens Aspekten der Kontemplation – mit einem abschließenden kleinen Ritual und ausklingender Meditation. Es sei noch kurz erwähnt, daß das Essen komplett vegetarisch war.

Jetzt bin ich jedoch vorausgeprescht; es lief natürlich alles viel langsamer an. Der erste Tag stand vor allem im Zeichen des „Präsent-Seins“ im Hier und Jetzt quasi als Vorbereitung auf das Sitzen in der Stille. Präsenz meint hier das wertungsfreie Erleben der Umgebung, ohne über Dinge nachzudenken. Es ist schon ein Leerwerden des Geistes. Wir wurden aufgefordert, in den Garten oder in Richtung des Waldes zu gehen, und lediglich zu empfangen, was um uns herum geschah, ohne darüber nachzudenken. Das ist schwer. Denn die singende Kohlmeise ist für mich natürlich genau das – aber es wurde z.B. extra gesagt, man solle nicht darüber sinnieren, was das nun für ein Vogel sein könnte. Wichtig ist, das Ego zurückzunehmen, sich nicht mit den geschauten Dingen zu verbinden, sondern diese einfach „sein“ zu lassen. In den Worten von Elisabeth: „Ständig kreisen wir mit unseren Gedanken in der Vergangenheit oder mit unseren Sorgen und Plänen in der Zukunft. Wir leben oft in einer Zeit, die schon vorbei ist oder die erst kommt. Dabei verpassen wir es, in der Zeit zu leben, die die unsrige ist – und das ist die Gegenwart.“
Und man könnte hinzufügen: die Zeit, die Gottes ist.
In Momenten, in denen man dies Hiersein im Augenblick schafft, kehrt eine große Ruhe ins Innere ein, weil man sich frei spürt von diesen Verbindungen, die der hektische Geist immer wieder herstellt.

Wenn Gedanken aufkamen, sollten diese nicht beachtet, nicht „weitergedacht“, sondern wieder „fortgeschickt“ werden. Oder anders ausgedrückt: man sitzt stille vor Gott mit all dem, was gerade in einem ist, also auch die Unruhe, die quälenden Gedanken…
Das alles vor dem Hintergrund, daß „der Weg zu Gott sich durch die Wahrnehmung öffnet und nicht durch das diskursive Denken“ (Jalics, a.a.O.).

Kern des Aufenthaltes und mit 5 bis 6 (empfohlenen) Stunden täglich auch die zentrale Tätigkeit während eines Tages: das stille Sitzen im Meditationsraum. „Sitzen“ im Sinne der Verwendung eines Meditationshockers, also in einer Mischung aus knien und sitzen. Man konnte jedoch auch einen Stuhl nehmen. Von Tag zu Tag veränderten sich die Anweisungen zum stillen Sitzen. Es ging los mit der Achtsamkeit auf den Atem bzw. den Weg der Atemluft von der Nase bis in den Bauchraum; am zweiten Tag wurde dies durch Aufmerksamkeit auf die Handflächen ergänzt, z.B. indem man die Hände vor der Brust mit einander zugewandten Handflächen hält und diese dann langsam zueinander führt. Achtsamkeit auf Atem und Hände – das diente dazu, im Hier und Jetzt zu bleiben. Elisabeth sprach in einer der Ansprachen davon, daß die Meditationsmatte, auf der wir knieten, unser „kellion“ sei, also die kleine Zelle der sogenannten Wüstenväter, frühchristlicher Mönche der Wüsten Ägyptens und Syriens. Ich hatte mich vorher schon mit diesen Einsiedlern beschäftigt und fand dieses Bild sehr hilfreich.

Vom Fokus auf körperliche Dinge ging es dann weiter zu Worten, die man im Geiste in die Ein- oder Ausatemluft legte. Zunächst nur ein „Ja“, das mit dem Ausatmen strömte, dann der Name der Gottesmutter, Maria, und zuletzt „Jesus Christus“ im Sinne des sogenannten Jesusgebetes.

Da der Aufenthalt in die Osterwoche fiel, feierten wir auch gemeinsam die Osterliturgie beginnend am Palmsonntag, dann die gemeinsame Abendmahlsfeier mit festlich geschmückten Tischen im Refektorium, eine lange Meditationssession am Samstagnachmittag im Sinne des „Wachens am Grab“ und schlußendlich das Osterfeuer am frühen Sonntagmorgen im Klostergarten.

Nun genug zum äußeren Rahmen: Was passierte in und mit mir? Das Einlassen auf die Stille ist etwas, das ich schon kannte und schätzte. Ich kenne diese Momente, in denen der Geist leer wird und man das Gefühl hat, der ganze Körper vereinige sich mit einem überindividuellen Sein. In einer eher ekstatischen Form kenne ich das gut von Musikkonzerten, bei denen die Bässe durch den Körper wummern. Hier aber war Stille und Ruhe. Allein der große Klostergarten mit den unzähligen Baumarten, der großen Wiese, dem kleinen Teich, den Beeten und natürlich der Marienstatue im schattigen Eck lud zum langsamen Schlendern und Stillewerden ein. Ich muß hier zugeben, daß ich die „Vorgabe“, sich mit nichts anderem zu beschäftigen in diesen Tagen, nicht gänzlich eingehalten habe. Abends um 19 Uhr „mußte“ ich kurz die Ö1-Nachrichten hören, um zu wissen, was so passiert ist. Auch habe ich ab und an mal ein paar Seiten in einem Buch zum Thema Mystik gelesen, aber gerade diese Lektüre verband sich gut mit dem, was ich so den Tag über fühlte und im Gespräch mit Elisabeth anbrachte: ich fühlte mich auf sonderbare Weise „rein“. Damit meinte ich vor allem, daß die „Laster und Sünden“ – oder sagen wir: die Schatten auf meiner Seele – verschwanden und nur noch in Träumen wiederkehrten. Ja, in den ersten Nächten träumte ich wirklich vom Teufel, der mich versuchte und zu sich ziehen wollte. Morgens stand ich mit einem Lächeln auf und wußte: „Du kriegst mich hier nicht.“

Nach zwei, drei Tagen hatte ich manchmal das Gefühl, wie auf einer Wolke zu gehen, so weit abgehoben von meinem Alltag, vom Beruf und der Familie – ohne daß das aber wirklich „weg“ war. Doch nach jedem Höhenflug kommt auch wieder die mehr oder weniger sanfte Landung. In der Mitte der Osterwoche trug ich mich für vorher nicht geplante Gespräche bei Elisabeth ein, weil ich in eine leichte Krise rutschte. Dabei war es doch „versuchenden Gedanken“ gelungen, mich gefangenzunehmen in der Präsenz. Ich mußte in der einfühlsamen Gesprächsleitung durch Elisabeth für mich zu einer Erkenntnis kommen, die diesen „Würgegriff“ von außen aufbrechen konnte. So konnte ich mich am Gründonnerstag wieder auf die Stille einlassen und hatte am Spätnachmittag – ganz allein im Meditationsraum – ein für mich einschneidendes Erlebnis.
Um Elisabeth hier noch einmal aus dem o.a. Artikel zu zitieren: „Wo die Liebe Gottes in uns auf dunkle und unerlöste Schatten trifft, dort geschieht Wandlung und Erlösung.“

Mir ist insbesondere auch an dem Wort „Gnade“ bewußt geworden, wie dankbar ich dafür sein darf, diese 10 Tage so erlebt zu haben, wie ich sie erlebt habe. Ich denke an einen jungen Mann, der zum zweiten  Mal teilnahm, aber immer irgendwie bedrückt wirkte. Am letzten Abend sagte er: „Heute geht es mir zum ersten Mal gut und ich könnte bleiben. An allen anderen Tagen wollte ich nur weg von hier…“

Dann komme ich noch einmal zu einem kleinen, praktischen Detail zurück: Jeder Teilnehmer arrangiert sich auf seiner Meditationsmatte so, wie er es möchte. Kunstvoll wurden die dicken grauen Wolldecken genau so drapiert, wie man es am bequemsten fand. Für mich war dabei witzig an mir zu beobachten, wie man immer „perfekter“ dabei wird, seinen Sitz einzunehmen. Bei so vielen Stunden Übung weiß man bald, wie genau man sich zu knien hatte, damit es „paßt“. Das habe ich oft mit einem Schmunzeln wahrgenommen, weil es ein „Ankommen“ war.

Die gemeinsamen Eucharistiefeiern in der kleinen, heimeligen Kapelle waren für mich sehr intensive Erlebnisse, über die ich hier nicht sprechen werde.

Ein Ergebnis dieser Woche für mich – stand im Grunde gleich am Anfang dieser Zeit, ja, noch in der ersten Stunde. Ich sprach mit einem anderen Teilnehmer, einem „Wiederholer“, und meinte, daß es wohl Ziel sein müsse, diese neue, hier zu lernende Praxis mit in das Alltagsleben zu nehmen. Nein, sagte er, du sollst nicht ein separates „neues“ Element in deinen Alltag integrieren; du sollst dich so verändern, daß du im Alltag verändert bist.

Ich „mußte es jetzt lernen“, dieses stille Sitzen, das hatte ich im vorherigen Artikel geschrieben. Und am Ende stand die Erkenntnis, daß ich hier etwas erleben durfte, das aus den verschiedensten Gründen in meinem bisherigen Leben fehlte. Gedanken wie „Hätte ich das bloß vor 30 Jahren schon angefangen“ lassen manchmal eine rückgewandte Sehnsucht in mir aufkommen – wobei ich dann gleich erkenne, daß ich hier wieder in der Vergangenheit bin. Also versuche ich nun, das in der schönen Steiermark vor dem mächtigen Massiv des Grimmings Erlernte, im Hier und Jetzt meines Alltagslebens umzusetzen und mindestens einmal am Tag wieder kurz in diese Stille zu tauchen.

Und noch einmal Elisabeth (a.a.O.) zum Abschluß über das, was in der Stille passiert:
„Dann ahnen wir Gottes Gegenwart in uns. So kann Gott Mensch werden, in mir und durch mich. Dann ist Weihnachten, Menschwerdung Gottes in mir, nicht nur einmal im Jahr, sondern Tag für Tag neu.“

 

Mystik 4a

Hier geht es zu „Mystik 5“, weiteren Schweigeexerzitien in Irdning im Jahr 2020.

3 Gedanken zu „Schweigeexerzitien im Kloster (2) (Mystik 4b)“

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