FKK und Social Media

(Aktualisiert, s. Ende)

Gerade geht der Name Heiko Stoff – gern auch mit Zusatz „nomen est omen“ – durch die Presse, weil Sommer ist, Sommerloch trotz Corona – und FKK im Sterben liegt. Stoff, Privatdozent am Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover, hat festgestellt, daß die sozialen Medien schuld am Aussterben von FKK seien. Ist nicht schwer, darauf zu kommen; diese These findet sich auch hier im Blog, insbesondere mit dem „hardware-seitigen“ Hinweis über die All-Verfügbarkeit moderner Smartphones mit sehr guten Kameras und dem „unauffälligen“, konfigurierbaren Knipser durch schnelles Drücken der Lautstärketasten o.ä.

Man bezieht sich in der aktuellen Berichterstattung auf eine YouGov-Umfrage dazu, wie wohl sich „die Deutschen“ (gut 2000 Befragte) nackt fühlen. Die Grafik zeigt mir zunächst, daß sich v.a. Frauen dort unwohl fühlen, wo man/frau/divers nackt ist. Fast 40% der Frauen meiden solche Ort völlig. FKK ist auch nicht mehr so verbreitet, das zieht sich durch die Berichterstattung der letzten Jahre hindurch: Ungefähr jeder Vierte war mindestens einmal am Strand nackt, jeder Fünfte an Badeseen, jeder Zehnte im Hotel oder Resort. Die Grafik zeigt, daß die Sauna dominiert, was Nacktsein angeht, danach kommen Strand und Badesee, dann werden die Abstände deutlich größer.
Viele Menschen empfinden Unbehagen, wenn sie nackt sind, es ist ihnen peinlich. Bei dieser Grafik ist v.a. interessant, daß „sexuelle Erregung“ ganz am Ende steht. Das zeigt, daß die angegebenen Gefühle von „Peinlichkeit“ und Scham echt sind. Gepolstert werden die unangenehmen Gefühle von einem breiten Mittelbereich aus „Freiheit“, Natürlichkeit usw.
Zusammengefaßt: jeder Dritte meidet Orte, an denen man nackt ist.

Stoff interpretiert dies als Folge von Instagram und den Social Media. Es gebe eine Angst vor dem eigenen nackten Körper, so wie er ist. Für Instagram würden viele Bilder nachbearbeitet, d.h. man erschaffe sich einen künstlichen Traumkörper, der der Öffentlichkeit präsentiert wird. Das geht am Strand oder in der Sauna nicht, da sehen anderen Menschen meinen Körper so, wie er ist – mit allen „Makeln“.
Interessant der kurze Gedanke im verlinkten Kurier-Artikel: dieses neue Empfinden sei eine Umkehr des Denkens im Bezug auf Nacktheit: diese stand im lebensreformerischen Sinn für Gleichheit – die Unterschiede durch (standesgemäße) Kleidung seien weggefallen. Jetzt wird, so kann man fortführen, der Körper (im Bild) so bearbeitet, daß ein künstlicher Unterschied („mein perfekter Body“) geschaffen wird. Dafür zeigt man den „echten Body“ nicht mehr nackt, weil er so viele Fehler hat.

Bei diesem Denken liegt der Fokus in der Außenwahrnehmung. Was denken andere Leute über meinen Körper? Wie perfekt muß das Bild sein, damit andere mich bewundern?
Beim Naturismus liegt der Fokus auf der Selbstwahrnehmung, auf dem, was ich oben als Polster in der Umfrage bezeichnet habe: Freiheit, Natürlichkeit – auch Akzeptanz meiner selbst so, wie ich bin. Das ist in einer Welt, in der „alles machbar“ sein muß, nicht angesagt.

Wie sehr Menschen willfährig einem Kult hinterherrennen, sieht man an der artigen Befolgung aller Coronamaßnahmen inkl. Ich-gehöre-dazu-Spritze. Am FKK-Strand heißt das: ich will nicht mit meiner Fettschürze für alle nackt zu sehen sein, also poste ich ein bearbeitetes, vorteilhaftes Bild mit Cocktail vor Sonnenuntergang – und die Bewunderung meiner „follower“ ist mir sicher.

Wenn ich das so schreibe, merke ich, wie sehr ich mich nach einem weiteren Besuch am Darßer Weststrand sehne. 🙂

Nachtrag: Im Deutschlandfunk wies die Sexualtherapeutin Carla Pohlink darauf hin, daß bei Frauen ein zusätzliches Schamgefühl durch die Intimrasur entstehe, die sich als Modetrend durchgesetzt habe. Männer hätten eher schon mal den Penis eines anderen Mannes gesehen, aber Frauen nicht das Genital anderer Frauen. Durch die Entfernung der Haare sei nun alles sichtbar. Zudem hätte sich durch die Pornoindustrie ein Schönheitsideal für das weibliche Genital entwickelt.
Da ist was dran, insbesondere wenn man auf das Thema Schönheitsoperationen an den Schamlippen schaut (oder auch Vulva-Malen-Workshops).
Eine frühere Partnerin von mir hat diesen Rasurtrend massiv kritisiert; sie sagte: „Ihr Männer wollt uns Frauen wieder wie kleine Mädchen sehen.“ Sie hat den Trend also in den Zusammenhang mit pädophilen Wünschen der Männer gebracht, eine Reduktion der erwachsenen Frau auf ein unreifes Kind. Man könnte das Thema auch psychologisch deuten im Sinne der Angst des Mannes vor der behaarten, daher versteckten Öffnung, die den Penis „schluckt“ – also die männliche Kastrationsangst.

Ich glaube, daß dieser Einwurf von Frau Pohlink wirklich wichtig ist. Intimrasur erzeugt „mehr Nacktheit“ auf Seite der Frauen.

(Scherz am Rande: Ein jovialer älterer Bekannter sagte mal: „Jetzt habe ich mich das erste Mal rasiert. Genial! Jetzt ist ER gleich zwei Zentimeter länger…“)