Valentinstag oder: Naturismus und Erotik revisited

Meine Frau hatte mich zum Valentinstag zu einer „erotischen Lesung“ in einem Restaurant mit Vier-Gänge-Menü eingeladen. Der Schauspieler, der den Abend gestaltete, trug zwei Kurzgeschichten und mehrere Lieder vor. Er beklagte sich darüber, wie schwer es sei, erotische Geschichten zu finden: man solle einmal nach „erotische Kurzgeschichte“ „gugeln“, dann erhielte man fast ausschließlich pornographische Texte. Die erste Geschichte um das Thema sensorische Deprivation (Augenbinde) als Stimulus – sie war wirklich sehr schön.

Leider hieß die 2. Geschichte „Der FKK-Urlaub“ – und ich wußte gleich, was ich zu erwarten hatte, nämlich die übliche Verknüpfung von FKK und Sex, auch wenn, ja, wenn es hier ein bißchen durchdachter war, obgleich der Vortragende zwei Seiten mit eher pornographischen Beschreibungen ausließ, diese aber „zum Nachlesen“ später ins Publikum gab.

In Kürze: 5 Paare machen gemeinsam mit Kindern Urlaub in Ungarn am Balaton. Zwei Frauen schneiden das Thema FKK an, da es in der Nähe ein FKK-Gelände gibt. Man setzt sich mit dem Thema auseinander: Oben ohne sonnen ist ja auch vor den anderen Mitreisenden OK, aber „alles ohne“?! (Ich gestehe gerne, daß ich dieses Problem so nie kannte, weil „alles“ ist ja nur ein kleiner Teil (oder größerer) des Körpers, nichts besonderes, obgleich so massiv mit Schamgefühlen besetzt.) 

Auf der Fahrt zum FKK-Gelände, das sich die beiden Protagonistinnen zunächst alleine, drei Stunden bevor die Männer nachkommen werden, anschauen wollen, geht es im Gespräch um eine Geburtstagsfeier vor Jahren, bei der es mit den damaligen Partnern der beiden Frauen zu gemeinsamem Sex (beide Paare für sich, aber im gleichen Raum) gekommen war. Es geht um die Erotik des (Zu-)Schauens, um unerfüllte Wünsche, um den eigenen Körper in der Wahrnehmung anderer.

Dieser visuelle Aspekt als dominantes Thema der Geschichte, die ich übrigens leider nicht im Netz finden konnte, um sie hier zu verlinken, hat auf dem FKK-Gelände seine Fortsetzung: Junge, „gut bestückte“ Männer schauen ganz unverhohlen auf die beiden nackten Frauen und zeigen mehr als nur visuelles Interesse. Alte Männer sind ausschließlich zum Spannen anwesend, werden also auf ihre Blicke reduziert. In zwei Stufen öffnet sich die eine der beiden Frauen, die aus der Ichperspektive erzählt: zunächst findet sie Gefallen daran, die alten Männer zu erregen: Sie öffnet ihre Beine und gewährt den Männern direkten Blick auf ihre Vulva, wobei sie merkt, daß sie ebenfalls erregt wird.
In Stufe 2 haben die beiden Frauen in einer Lounge, die sich dem FKK-Gelände anschließt, Sex mit anderen jungen Leuten, die offenbar nur zum Feiern (und Sex) gekommen sind und die FKK-Atmosphäre als enthemmendes Setting nutzen.

Letztlich kommen die Männer der beiden nach; die Frauen beobachten, wie sie ihrerseits über Beachball-spielende Frauen (eindeutig) reden. Die Geschichte endet damit, daß durch die Erlebnisse die eigene Sexualität der Paare belebt wird und ggf. noch mehr im Urlaub stattfinden wird.

Ich habe in diesem längeren Beitrag etwas zum Thema FKK (eher war Naturismus gemeint) und Erotik geschrieben.
Deutlich wird auch in der oben geschilderten Geschichte, daß Nacktheit Grenzen überschreitet, aber doch auch, daß man – JEDER – es immer selbst im Griff hat, was er daraus macht – ganz einfach ausgedrückt.
Ich schrieb im verlinkten Artikel, daß Nacktheit Natürlichkeit sei, ohne jedoch zu negieren, daß eine Frau, die ich am Strand nackt sehe, eine „erotische“ Ausstrahlung haben kann: Es ist fast ein wenig wie das Konstatieren „störender“ Gedanken bei der Meditation – man nimmt sie wahr, schiebt sie beiseite. Gut, das klingt jetzt negativ, klingt nach Verdrängung, ist aber so nicht gemeint, von daher war das Beispiel mit der Meditation nicht so gut gewählt.
Therese Mülhause-Vogeler schreibt in „Freie Lebensgestaltung“ (Link lebensreform.eu nicht mehr abrufbar, 2020) darüber, wie in jedem Menschen zwei Prinzipien miteinander ringen: Gott und Bestie. „Je nachdem nun das eine oder das andere in ihm Herrschaft erlangt, sucht der Mensch Freiheit oder Zügellosigkeit.“ Ich mag diese Autorin so sehr (wie sich auch in der gehäuften Erwähnung in letzter Zeit zeigt), weil kaum jemand so präzise ausdrückt, was man in sich selbst ja oft genug als „im Kampfe liegend“ erkennen kann. Und so ist es nur folgerichtig, wenn sie weiter ausführt, daß innere Freiheit eben kein Geschenk sei, sondern etwas, das man sich mühsam erwerben muß. In diesem Sinne auch der Ausspruch eines der sogenannten Wüstenväter: „Wir können nämlich die Leidenschaften nicht entwurzeln, aber wir können ihnen widerstehen.“ (zit. nach Dodel, Weisung aus der Stille)

In diesem Sinne ist der erotische Reiz ebenso eine „Qualität“ des nackten Körpers wie die allgemeine Gestaltung oder auch „Schwächen“, die man nun sieht, da keine Kleidung sie verstecken kann. Wer nun beim Nacktbaden oder in der Sauna vor allem auf den erotischen Reiz abstellt, hat eine andere Ebene dieser inneren Freiheit als derjenige, der ihn als Aspekt unter anderen wahrnimmt, ohne sich davon vereinnahmen zu lassen.
Daher noch einmal: natürlich ist der erotische Reiz da, er ist untrennbar mit Nacktheit und schönen Körpern (allgemein gesagt) verbunden, aber im Umgang mit ihm zeigt sich, ob der Mensch eher in Richtung „Gott“ oder „Bestie“ tendiert.

Soll heißen: Nicht die Kunstfiguren des o.a. Textes vom Valentinstag, sondern vielmehr der Autor lebt offenbar auf einer geistigen Ebene, auf der Nacktheit und „Ficken“ quasi in eins gesetzt werden. Schade, daß solche (nicht nur) geistigen Ergüsse dann im Rahmen einer „erotischen“ Vorlesung ihren Platz finden, wo man sich ja doch gerade auf das Thema Erotik einlassen möchte, in eindeutig erotischen Situationen – und nicht so eine „FFK belebt unsere kaputte Beziehung“ hören will.

4 Gedanken zu „Valentinstag oder: Naturismus und Erotik revisited“

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