Zubiri bis Pamplona (CF10)

[Die Seite ist Teil des Berichts über meinen Camino Francés 2015.]

Wie sich im Laufe des Tages herausstellte, war dies einer der weniger schönen Tage, also rein was das Laufen anging: Regen beim Abmarsch um 7:30 Uhr, körperlich anstrengendes Auf und Ab, immer wieder Regenschauer, daher ständig Regenklamotten anziehen und wieder aus, weil es darunter zu warm wurde; wenig schöne Landschaft hier schon im „Dunstkreis“ der Großstadt Pamplona. Aber gut, es folgten so viele tolle und sonnige Tage – das gehört einfach dazu.
Es ging heute zunächst über schmale Pfade durch Weidelandschaft, immer noch sehr hügelig, dann auf ausgebautem Weg am Arga entlang, der flußabwärts immer breiter wurde, an einem riesigen, häßlichen Industriekomplex vor Larrasoaña vorbei mit „Mini-Umleitung“ des Weges.

Nachdem an der Bar Posada de Zuriaín unglaublich viel los war (inklusive des laut palavernden Schweizers von gestern), pausierten wir etwas später an der alten Schmiede Horno de Irotz, wo wir gemütlich draußen saßen und Würstchen aßen. Hier, recht früh auf dem Camino, hatte ich manchmal den Eindruck, daß meine Mitpilger teilweise noch unsicher waren und sich auch eher für sich hielten. Vielleicht war es auch nur mein persönliches Erleben. Eine Londonerin, die letzte Nacht mit uns auf dem Zimmer war und die wir später noch ein-, zweimal sahen, kam nie über einen kurzen, kühlen Gruß hinaus. Auch jetzt saßen drei deutsche Pilgerinnen direkt am Tisch neben uns und ignorierten Helga und mich komplett.

An einer Steilstrecke vor Larrasoaña liefen wir auf eine junge Frau auf, die ihr Knie bandagiert hatte und offenbar nur unter Schmerzen gehen konnte. Ich meine, daß ich sie schon am Vortag oder noch davor bereits gesehen hatte. Also sprach ich sie an, ob sie Hilfe benötige, ob alles OK sei. Sie wirkte eher genervt und wies mich ab: es sei alles in Ordnung…
Fakt ist, wir haben sie nicht mehr gesehen und ich meine mich erinnern zu können, daß mir jemand sagte, sie habe „aufgegeben“ und sei abgereist. Manche Pilger hat man in der Fülle des schon erwähnten „Startfeldes“ häufiger gesehen oder sich auch mit ihnen (oder über sie) unterhalten. Ich kann mich an Gespräche erinnern wie: „Hast du die Portugiesin mit dem schrill-gelben Rucksack noch mal gesehen?“ „Nein, länger nicht.“ Worauf jemand anders einwarf: „Doch, gestern noch in XY, da war sie beim Packen für den Flug. Sie kann nicht weiter, die Blasen eitern…“
Ich hatte – allgemein gesprochen und ohne statistische Grundlage – in den ersten beiden Wochen den Eindruck, daß doch recht viele Menschen ihren Camino aus unterschiedlichen Gründen abbrachen.

Weiter ging es für uns dann an einförmigen Neubauvierteln (Schlafstädten von Pamplona) vorbei und hinein in die wenig attraktiven Vorstädte wie Villava und Burlada mit ihren tristen Wohnblöcken. In Letzterer kaufte ich mir eine spanische SIM-Karte von Tuenti, die gegenüber meiner deutschen SIM wesentlich bessere Konditionen bot. Für 7€ im Monat hatte ich 1GB LTE-Daten im Movistar-Netz, dazu 50 Minuten Gespräche über die Tuenti-App (VozDigital) auch ins Ausland. Das funktionierte bei gutem Netz in der Regel, selten brach ein Gespräch nach Deutschland mal ab. (Die Karte nutzte ich dann, bis sie 2019 durch eine neue hätte ersetzt werden müssen – Tuenti verschickt diese aber nicht nach Deutschland.)
Nebenbei: Das Gespräch mit der netten Frau im Vodafone-Shop konnte ich nach anfänglichem Hinweis auf mein nicht so gutes Spanisch dann doch fast komplett in spanisch führen, natürlich auch, weil sie Rücksicht nahm und sehr langsam sprach. Helga wartete draußen, weil sie nicht alleine in die Innenstadt weitergehen wollte.

Bald führte uns der Weg über die Magdalenenbrücke aus dem 12. Jahrhundert, entlang der mächtigen Stadtmauer und hinein in die Altstadt von Pamplona. Die erste Herberge war voll, aber gleich in der nächsten, einer neuen privaten mit dem schlichten Namen „Albergue de Pamplona“ kamen wir unter. Das war ein sehr „spaciges“ Erlebnis, denn man schlief in so einer Art Plastikkojen in der Wand. Das Geheimnis dieser Herberge, oder besser: der Wohlfühlatmosphäre, war das engagierte ältere Ehepaar, das sie führte. Da fühlten wir uns sehr gut aufgehoben. Sie nahmen uns die Wäsche ab – das kostet immer etwas, aber wenn man sich eine Maschine mit anderen teilt, ist das nicht zu teuer. Zu Anfang des Caminos habe ich häufiger Waschmaschinen in Anspruch genommen, auch weil ich mir mit Helga eine teilen konnte. Später habe ich meist nur noch per Hand gewaschen Das Wetter war dann so warm, daß die Sachen auf der Leine schnell trockneten.

Duschen, frisch machen, raus in den Samstagnachmittag in Pamplona. Ich schaute mir die spätgotische Kathedrale Santa María gut 45 Minuten an, während Helga etwas aß und wartete. Das Gotteshaus hinterließ bei mir keinen bleibenden Eindruck, wie es z.B. in Burgos und León der Fall war.
Dann Rundgang durch die Stadt, zur Stierkampfarena, dem Stierkampfdenkmal, zum zentralen Platz Plaza del Castillo mit dem „Lieblingscafé von Hemingway“: Iruña.
Am Denkmal trafen wir John, Linda und Cathy und ich war, ehrlich gesagt, erschrocken, wie angeschlagen John aussah (also hier schon – ich traf ihn noch einmal wesentlich später…). Offenbar steckte er die langen Strecken bei wechselndem Wetter nicht so gut weg, wie er gedacht hatte. Die Drei hatten sich per Taxi nach Pamplona fahren lassen und waren in einer Art Ferienwohnung untergekommen.

Weiter ging es durch die Estafeta, die berühmte, enge Einkaufsstraße, durch die die Stiere beim San-Fermín-Fest im Juli getrieben werden. Ein paar Tapas in einer kleinen Bar, in der mächtige, präparierte Stierköpfe an der Wand hingen, dann Rückweg zur Herberge. Noch einmal mit Kenny los und zwei Bier an der Theke im Iruña getrunken. Biere sind in der Regel „cañas“, gezapfte Biere in einer Art kleinem Wasserglas. Dazu erzählte mir Kenny – nicht Hemingway-affin -, wie ekelhaft er Stierkämpfe in Südamerika empfunden habe.
Im Anschluß aß ich mit Helga eine Pizza, ich rief zuhause an, und noch einmal einen Rundweg durch die Stadt, kleine Einkäufe in einem dieser Mini-Lebensmittelläden, Blick von der Stadtmauer auf die Vorstädte beim Sonnenuntergang. Langsam spürte ich, daß meine Achilles-Sehnen leicht zu schmerzen begannen, ebenso die Knie. Nichts Ernstes, aber eine Folge der ungewohnten Belastung. Ich hatte mir Salbe eingepackt (Voltaren Schmerzgel Forte), die ich später auf die Beine auftrug. Zusätzlich hatte ich für jeden Tag eine Nahrungsergänzungskapsel mit (Vitamine A-Z + Spurenelemente usw.) sowie zusätzlich Magnesium. Wenn ich das im Freundeskreis erwähnte, wurde ich oft wegen der „Opa-Pillen“ belächelt, dennoch glaube ich, daß sie Anteil an dem guten Verlauf meines Caminos hatten.

Den Abend in Pamplona erlebte ich so, wie es der „Fettnäpfchenführer Spanien“ (Graf-Riemann 2014) beschreibt: Spanien ist ein lebendiges Land, die Menschen sind laut und herzlich. Ich genoß diese Stunden in Pamplona, freute mich aber doch darauf, die Stadt morgen wieder verlassen zu können. Mit Kenny tauschte ich die Handynummern: er würde einen Ruhetag einlegen, ich hatte keine eingeplant.

Ich muß dann noch etwas zu Helga schreiben, denn sie hatte mich während des Gehens heute beschäftigt. Für mich fühlte es sich so an, als würde sie sich ein wenig an mich „dranhängen“, vielleicht weil ich einer der wenigen (älteren, englischsprachigen) Deutschen war, die jetzt gerade auf diesem Teilstück unterwegs waren. Helga erzählte mir, daß sie auch im Vorjahr einen deutschen Mitpilger gefunden hatte, mit dem sich eine Weggemeinschaft ergeben hatte. Sie selbst sprach nur minimal Englisch, was immer wieder dazu führte, daß wir beim Abendessen saßen, ich mich auf englisch unterhielt und Helga schwieg. Ich fragte mich, ob ich es für mich akzeptieren kann, wenn sie für die nächsten zwei Wochen meine Begleiterin wäre, bis sie dann von Burgos aus wieder zurückreisen würde (sie war im Vorjahr von Astorga nach Santiago gepilgert). Ich fragte mich, ob ich „nachgeben“ sollte oder ob ich ganz strikt sagen sollte, „jetzt gehe ich allein weiter, du kommst nicht mit.“ Ich hatte, das muß ich noch einmal zum Verständnis erwähnen, „meinen“ Camino so geplant, daß ich ihn bewußt allein gehen (sagen wir: angehen) wollte. Aber selbstverständlich ist man nicht im Niemandsland unterwegs, sondern trifft überall Leute, so daß sich Gespräche ergeben und man eben auch feststellt, daß man eine Person sympathisch findet, die andere nicht.
Was Helga angeht, so hatte sie die typische, etwas zurückhaltende norddeutsche Art, war aber eine sehr angenehme Zeitgenossin. Unsere Absprachen (wann gehen wir wo essen, wann brechen wir auf, wie weit wollen wir heute gehen?) klappten fast so wie bei einem eingespielten Paar… Letztlich – ich nehme es hier vorweg – entschied ich mich für das gemeinsame Pilgern, sagte Helga aber zu einem späteren Zeitpunkt, daß ich ab Burgos in die Meseta allein gehen möchte, selbst wenn sie noch ein oder zwei Tage Zeit hätte, um mit mir über Burgos hinaus zu gehen. Und dann kam es sowieso noch einmal ganz anders…

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